kolvi
Welscher Taubenapfel
- Registriert
- 08.08.17
- Beiträge
- 762
Puh – meine „vehementen Forderungen“ verstehen? Da muss ich ggf. etwas weiter zu ausholen…Seit dem Ende des WW2 gab es zahllose andere Angriffskriege. Da hat auch oft niemand eingegriffen. Was ist denn nun anders, dass du solche vehementen Forderungen stellst?
Ich will da gar nichts relativieren, aber verstehen, woher dieser Unterschied rührt. Liegt es an der Nähe?
Zunächst – ich bin ein recht friedliebender Mensch wie wahrscheinlich sehr viele hier im Forum, wenn nicht sogar alle… Aufgewachsen im „Kalten Krieg“ und freiwillig bei der Bundeswehr, es galt als für mich ausgeschlossen, dass Deutschland und/oder die NATO einen Angriffskrieg führt und für die Verteidigung meiner / unserer westlichen Werte (besonders unter dem Eindruck des WK II und der Wiederaufbauhilfe vor allem der Amerikaner) gegenüber dem Kommunismus und dem Warschauer Pakt war ich damals als Soldat selbstverständlich bereit, mein Leben zu lassen. Trotz aller Risiken, Stellvertreterkriege und Krisen ein relativ einfaches „Schwarz/Weiß-Bild“ der Sicherheitspolitik.
Das greift heute bzw. seit 1989/1990 in der Form natürlich nicht mehr.
Stichworte: Auflösung des WP und Zerfall der relativ stabilen „Abschreckungs-Weltordnung“, zunehmende wirtschaftliche Globalisierung, gegenseitige Abhängigkeiten und natürlich die unmittelbare Vertretung „eigener Interessen“ (ob gerechtfertigt oder nicht) durch Einzelakteure, Terroristen, Gruppen und Staaten – mittels direkter oder auch indirekter Gewalt, hybride Kriegsführung etc.
Es gibt aus meiner Sicht heute kein „schwarz/weiss“ mehr, es gibt auch kein „richtig oder falsch“… es gibt höchstens noch Näherungswerte.
Die Vertretung eigener (nationaler) Interessen hat in der Bedeutung gegenüber der Vertretung von multinationalen Werten (so damals die Werte der „freien“ westlichen Welt gegenüber den Werten der kommunistischen Welt (damaliges offizielles Ziel des WP: „Weltherrschaft“) zugenommen, was mich zu Deiner o.a. Fragestellung bringt, „was ist denn nun anders“… ?
Zunächst - warum die Verkürzung „erst seit dem 2. WK“? Es gab auch vorher schon viele Angriffskriege und entsprechende Parteinahmen… warum sind die USA in den WK II eingestiegen? Und warum auf Seite der Alliierten und nicht auf Seiten Hitlers? Oder die unzähligen Kriege im Laufe der Menschheitsgeschichte vorher… Aber auch nach dem WK II… Es wäre jetzt müßig, alle Kriege nach 1945 zu analysieren, wer aus welchem Grund angegriffen / angefangen hat… die VN listen für den Zeitraum 1945-1985 allein 160 Kriege auf…
https://zeitschrift-vereinte-nation...hardt_Kaouras_Malanowski_Niebling_VN_2-86.pdf
Zurück zur Frage, was denn jetzt anders ist? Ich fühle mich unmittelbar betroffen, das ist anders.
Ich glaube nicht, dass man als friedliebender Mensch die ganze Welt retten kann… (der einzige, der das in der SciFi Literatur geschafft hat, war Perry Rhodan und das auch nur aufgrund überlegener Technologie Dritter und entsprechendem „Zwang“ – aber faszinierend, was man sich Anfang der 60er Jahre so ausgedacht hat…). Deshalb kann man auch nicht in jedem Konflikt Partei ergreifen oder sich gar engagieren …
Ich fühle mich vor allem betroffen, weil der RUS Angriffskrieg genau auf das abzielt, was besonders wir Deutsche doch absolut verhindern sollten – das Absprechen jeglicher Legitimation und die Führung eines Angriffskrieges zur bewussten Auslöschung eines ganzen Volkes incl. der Annektierung des gesamten Staatsgebietes (so Original-Rede Putin). Das Brechen jeglicher internationaler Regeln und Verträge, die RUS selbst mit unterschrieben hat; das Führen eines erweiterten Krieges gegen die westliche Welt, insbesondere die USA und und und… muss man jetzt nicht alles wiederholen.
Aus der unmittelbaren Betroffenheit heraus fühle ich dann eine gewisse Ohnmacht, den Dingen zuzusehen, die gerade geschehen – das Bombardement ziviler kritischer Infrastrukturen, um eben dieses Volk, welches Putin „ausgelöscht“ sehen will, in die Steinzeit zurück zu werfen.
Im Übrigen habe ich keine, wie Du schreibst, „vehementen Forderungen“ gestellt – ich habe geschrieben, dass ich verstehe, dass sich die NATO nicht in einen aktiven Krieg hineinziehen lassen will (in welchem sich die meisten Nationen der NATO jedoch schon befinden – Definitionssache -) – und ich habe in dem Zusammenhang die Frage gestellt (und nicht die Forderung erhoben, wie Du es aus meinen Worten ableitest !!), ob ein aktives Eingreifen (und damit meine ich konventionelle Kriegsführung) nicht sogar die „bessere Lösung wäre…“
Und ja, bestimmte Szenarien, womit ich die nuklearen meinte, wären dabei natürlich ein „no-go“… ABER – dies gilt für beide Seiten! Nehmen wir also an, bestimmte Staaten der Willigen - unter einem (natürlich nicht gültigen) VN Mandat ohne Russland/China etc. - würden Truppen stellen – vielleicht sogar nur Logistik im hinteren Raum – und sie wären damit aktive Kriegspartei – würde Putin dafür wirklich einen Atomkrieg riskieren?
Oder sie verstärken die aktive Vorwärtsverteidigung der UKR und stellen die früheren Grenzen wieder her; zunächst vielleicht sogar nur die von Februar diesen Jahres – würde Putin dafür wirklich einen Atomkrieg riskieren? So bleibt im Moment nur alleinig seine nukleare Drohung bestehen…
Abschließend zu Deiner Fragestellung: „Liegt es an der Nähe“?
- Welche Nähe? Nähe zu Putin? (LOL); Die räumliche Nähe - zu Europa? (Schon eher); Die Nähe zu dem elementaren Grundverständnis meiner freiheitlichen westlich orientierten Werteordnung? Der Welt, in der aufgewachsen bin? Der Welt, wo ich auch hier auf dieser Plattform (zwar ein off-topic Thema, aber immerhin schreibe ich auf meinem iMac oder iPad) frei schreiben kann? Der Welt, frei reden zu dürfen? Der Welt, wo sich Multi-Kulti, Genderthemen und Persönlichkeitsentwicklung frei entfalten können, ohne dass ich diese Dinge immer gutheißen muss…? Der Welt, wo ich Handlungen meiner Regierung (z.B. keine Lieferung Marder und Leo-2 an UKR oder Hafen HH etc.) kritisieren darf, ohne zu fürchten, eingebuchtet zu werden?
YES – an genau dieser Nähe liegt es und das alles macht mich eben fassungslos und ein wenig hilflos dem Geschehen in der UKR gegenüber… die Sache, dass durch RUS alle Werte, für die ich einstehe, mit Füßen getreten werden – von den tatsächlichen tagtäglichen Kriegsverbrechen und Massengräbern mit Zivilisten ganz zu schweigen… Und ich hoffe nur, dass die Russen nicht doch noch den verminten Damm sprengen und damit weiteren zig-tausenden Ukrainern, die am darunter liegenden Ufer leben, den wasserlos bringen.
Bei all dem sollte doch wirklich die Frage (und nein, nicht die Forderung…) erlaubt sein, ob ein aktiveres Eingreifen Dritter auf Seiten der UKR nicht sogar die „bessere Lösung“ wäre (die Wortwahl NATO - als eigenständige Organisation - an der Stelle war unbedacht, wie ich schon geschrieben habe).
In früheren posts wurde die mangelnde Diskussionsführung hier beklagt – kann man ja jetzt mal ändern…

P.s. im Übrigen muss man mich nicht immer verstehen

Auch sehr interessant und fachlich sehr fundiert über die Sprengung der Pipeline
Zuletzt bearbeitet: