Jetzt mal im Ernst: Das Problem an der ganzen Sache ist, dass es nicht wirklich Alternativen zu geben scheint. Oder einen ehemaligen Bundespräsidenten (Herzog, "Ruckrede" 1997) zitiert: "Es gibt kein Erkenntnisdefizit, aber ein Umsetzungsdefizit." Auch der letzte Bundeskanzler meinte zu Hartz IV "alternativlos" und er wurde vom Sparkassendirektor Köhler brav dafür gelobt. Heute wissen wir: Die bessere (zumindest billigere) Alternative wäre es gewesen, alles so zu lassen, wie es ist.
Ich halte jedoch im Gegensatz zu Herzog unser Erkenntnisdefizit für enorm. Bis heute fehlt mir eine eingängige (!) Erklärung für die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Es findet auch keine Diskussion in der Politik statt, ob wirklich "sozial ist, was Arbeit schafft". Vom Mythos "Vollbeschäftigung" mal ganz zu schweigen. Denn es geht ja nicht nur um Beschäftigung, sondern auch um Partizipation am Wohlstand unseres Wohlstandes. Hier werden wir aber mehr und mehr mit dem Phänomen der Ungleichverteiltung von Chancen und Risiken konfrontiert. Man hat den Eindruck, es müsse sich unbedingt etwas bewegen, da sind sich alle einig, aber keiner weiß wohin.
In den USA, Großbritannien oder Neuseeland (dort kenne ich die Situation), sind zwar die Arbeitslosenraten geringer als hier und die Wirtschaft dynamischer. Dafür ist aber auch der Unterschied zwischen Arm und Reich wesentlich größer und die Sozialleistungen wesentlich geringer. Dort erkennt man den sozialen Status an den Zähnen und an der Lebenserwartung. Dort geht es vielen Menschen wesentlich dreckiger als hier.
Wollen wir das? Ist das die globale Zukunft? Unsere einzige Chance? Wer sich auf der Gewinnerseite eines solchen Systems wähnt oder hofft, der wird vielleicht dafür sein, hier kommt "erst das Fressen und dann die Moral" (B. Brecht). In Deutschland gibt es starke Lobbys, die das wollen.
Auf der anderen Seite gibt es v.a. die skandinavischen Staaten, die noch immer stärker auf Solidarität denn auf Konkurrenz bauen. Auch dort musste der Sozialstaat schon Federn lassen, aber man hat doch einen ziemlichen Einfallsreichtum entwickelt, um der Globalisierung zu trotzen und zugleich in ihr zu bestehen.
Das beantwortet aber nicht die Frage, ob die globale Wettbewerbs- und Konkurrenzgesellschaft ein Naturereignis ist. Oder ist sie vielmehr menschen- (und politik-)gemacht und damit ebenfalls veränderbar ist? Wenn nicht, dann kann unsere Demokratie eigentlich schon abdanken, denn die wesentlichen Faktoren für die gesellschaftliche und ökonomische Realität sind dann nicht mehr gestaltbar. Politik wäre machtlos und könnte irgendwelchen autoritären Expertengremien überlassen werden. Dafür wurde hier schon mal das Wort "Faschismus" gebraucht. Ob es passt, lasse ich mal dahingestellt, ein Demokratieverlust durch den "Terror der Ökonomie" ist für mich auf jeden Fall festzustellen. Die schwindende Wahlbeteiligung demonstriert dies eindrucksvoll.
Kommen wir zu einem anderen Ergebnis, dann müsste eine breite Diskussion einsetzen, was die Menschen in Deutschland eigentlich wollen. Ich glaube, die meisten wollen eher den gemütlichen und kuscheligen Sozialstaat der alten Bundesrepublik. Zu Recht, wie ich meine. Sodann müsste man sehen, wie dieser verteidigt, umgesetzt, ausgebaut werden könnte. Nicht trotz der Globalisierung, sondern unter Gestaltung der Globalisierung. Und das wäre die nächste Diskussion.
H.