Eine deutliche Mehrheit lebt ja auch seit Jahrhunderten in einem Patriarchat, ist entsprechend geprägt und kann sich vermutlich nur schwerlich etwas anderes vorstellen.
Heißt nicht, dass es gut ist, was eine deutliche Mehrheit da so denkt.
Ich glaube, dass das lange nicht mehr stimmt. Die Gesellschaft, die ich in den 1970er Jahren noch als Kind erlebte, hat sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Wir leben in einer Zeit, wo Du für (wahrhaftige) Geschlechtergerechtigkeit niemanden mehr mühsam überzeugen musst, wo die Frage anstatt "ob" eigentlich meist nur noch "wie" lautet.
Und es gibt immer noch jede Menge Aspekte im täglichen Leben, wo eine Verbesserung nötig ist, aber in den allermeisten Fällen ganz einfach, weil das mitunter einfach sehr schwer zu verwirklichen ist.
Das sind die Bereiche, in denen wir Anstrengungen brauchen.
Jetzt ist es natürlich Anspruch in einer Demokratie, diese deutliche Mehrheit nicht zu zwingen, sondern zu überzeugen. Grundsätzlich nutze ich deswegen z.B. gendergerechte Sprache in (auch offiziellen) Schriftstücken, die ich verfasse, fordere dies aber nicht von anderen. Einfach mal selber machen, damit auch zeigen, dass es durchaus geht und gar nicht so schlimm ist, das reicht schon manchmal.
Ich habe bis ungefähr zur Jahrtausendwende gegendert. In den 1980er Jahren empfand ich es (a) als einleuchtend und (b) als notwendig, um Menschen auf die Thematik Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft aufmerksam zu machen (dass das eine "Wirkung" habe, wie von einigen behauptet, habe ich allerdings nie geglaubt). Das lief dann irgendwie automatisch aus, weil ich einfach keinen Gewinn und keine Notwendigkeit mehr darin sah.
Dass ich jetzt sehr entschieden eine Position gegen das "Gendern" einnehme, hat viel mit der Vehemenz zu tun, mit der das im Moment in verschiedenen Bereichen unseres Lebens erzwungen wird. Mir scheint auch - mal am Rande - dass viele Ü50er (interessanterweise ist nach meiner Beobachtung gerade diese Generation besonders vehement dabei), die damals feministisch aktiv waren, nun in Entscheiderpositionen gelandet sind und, bewusst oder unbewusst, beginnen, ihre alten Träume in Wirklichkeit umzusetzen.
Anders sehe ich das z.B. im akademischen Bereich, wo ja häufig entsprechende Formulierungen gefordert werden - das finde ich so gut und richtig, gerade dort darf man erwarten, dass sich auch mal außerhalb der persönlichen Komfortzone bewegt wird und die entsprechende Transferleistung stattfindet, warum eine damit verbundene Auseinandersetzung mit problematischen Bereichen unserer Sprache stattfinden muss.
Hier muss ich entschieden widersprechen. Öffentliche, durch den Staat getragene oder sogar auch rein staatliche Institutionen bedürfen bei solchen Entscheidungen demokratischer Legitimation. Und da eben bekanntermaßen die Mehrheit dagegen ist, ist selbst bei Berufung auf repräsentative Mandate (da dreht sich mein altlinker Magen um, wenn ich sehe, wie viele, die früher für direkte Demokratie eintraten, nun plötzlich nicht mehr nachfragen wollen), wenn schon vielleicht legal, zumindest nicht legitim.
Es ist nicht die Aufgabe des Staats, das Volk zu erziehen (das wäre reiner Autoritarismus), sondern ein Instrument des Willens der Mehrheit der Gesellschaft zu sein.
Und wer jetzt hier kommt mit "KundInnen steht nicht im Duden!" - Glückwunsch, Sprache verändert sich, und zwar sowohl von unten wie auch von oben.
Genau, von unten nach oben. Das ist aber beim Gendern gerade nicht zu beobachten. Die Menschen gendern im täglichen Leben nicht. Meine Erfahrung ist, dass Sprache sich den Bedürfnissen der Sprecher anpasst. Beim Gendern ist es eher umgekehrt: es wird von einer Minderheit diskutiert, welche Formen man ändern muss, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Das ist daher eher von oben nach unten.
Tja, also wenn wir als Maßstab nehmen, woran sich bis vor kurzem alles "niemand" (das meint üblicherweise niemand aus der privilegierten Mehrheitsgesellschaft, nicht etwa niemand aus an den Rand gedrängten oder ganz ausgeblendeten gesellschaftlichen Gruppen/Minderheiten) gestört hat, dann kommen wir natürlich gesamtgesellschaftlich sehr viel weiter…
Nach meiner Erfahrung ist, wenn Du Respekt in einer Gesellschaft erreichen willst, das grundlegende Muster, jeden Menschen ungeachtet des Geschlechts, Hautfarbe, Religion etc. zuallererst als
Person zu betrachten und auch so zu behandeln. Trennmuster sind da gerade kontraproduktiv. Deshalb halte ich auch die "geschlechtergerechte Sprache" für wenig sinnvoll.
Die Tatsache, dass Gattungsbegriffe im Deutschen meist grammatisch maskulin sind (nicht alle, siehe etwa "Hebamme" o.ä.), wird zum Anlass genommen, daraus eine systematische Benachteiligung aller biologisch nicht maskulinen Geschlechter abzuleiten. Abgeleitet wird das von der - ja tatsächlich vorhandenen - historischen Prägung unserer Gesellschaft, es wird aber außer acht gelassen, dass die Sprachformen irgendwann einfach unabhägig davon geworden sind.
Jede Sprachform hat irgendeinen historischen Hintergrund. Je nach Perspektive kann man dieses Muster in unserer Sprache auch als gerade nachteilhaft für Menschen männlichen biologischen Geschlechts interpretieren, da ich die, weil sie formidentisch mit der generischen ist, anders als bei der weiblichen Form überhaupt nicht direkt ansprechen kann.
Wenn wir nun alle historischen Wurzeln aufdröseln und entsprechend die Sprache umdesignen wollen, haben wir wirklich etwas zu tun. Wir haben es hier aus meiner Sicht mit einer
künstlich geschaffenen Befindlichkeit zu tun, die - siehe Umfragen - nur von einer deutlichen Minderheit in unserer Gesellschaft überhaupt so empfunden wird.
Wie gesagt, mir scheint, wenn wir schon über Sprache reden, viel wichtiger, Trennungen aufzuheben. Die künstlich eingeführte Trennung nach Geschlechtern empfinde ich als eher kontraproduktiv. Ansonsten möchte ich auch gern auf die wirklichen Probleme unserer Gesellschaft verweisen, worauf ich oben ja schon eingegangen bin.