Ahoi @all, jetzt will ich hier auch noch ein paar Sachen ablassen, die mir so im Kopf herumschwirren.
Als ich 17 war, las ich ein Buch von
Jerry Rubin, "Do it!", das war ein Kultbuch in einigen anarchistisch angehauchten Kreisen. Da stand ein Satz drin:
Wie soll ich sagen "Ich liebe Dich!", wenn ich jeden Tag lese: "Autos lieben Shell!"
Fand ich
cool. Hab' daraufhin einige Jahre das Wort "Liebe" zu vermeiden versucht. Im Rueckblick echt bescheuert. Immer noch verstaendlich fuer mich, aber total bescheuert.
Spaeter hab' ich mir gedacht, ich lass' mir doch nicht von "denen" meine Sprache klauen, angeregt durch ein Buch,
Die Sprachenfresser (Glottophagen), ueber die Kolonialisten, die anderen Voelkern deren Sprachen ausgetrieben und ihre Sprachen aufgedrueckt haben. Seitdem verwende ich Sprache moeglichst bewusst und bin mir darueber bewusst, dass Sprechen
immer auch ein politischer Akt ist, selbst wenn dieser Akt aus politischer Dummheit besteht.
Das Wort "man" mit "frau" zu ersetzen, halte ich fuer heftig uebertrieben bzw. falsch verstanden. Aber auch ich sage mitunter lieber "mensch". Ist vielleicht ein Ueberbleibsel aus meinem "jugendlichen Radikalismus" :-D
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Seit wann nennen sich Schwule "schwul"?
Frueher (d.h. als ich das Wort kennenlernte, irgendwann in den 60ern) war das ein Schimpfwort, und es war p.c., "homosexuell" zu sagen. Dann haben sich die Bewegungsschwulen (ich glaube in den 80ern) das Wort "schwul" angeeignet (m.E. eine geniale Aktion) ...
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"Penner" -- in den 60ern und 70ern war dieses Wort ueblich fuer Obdachlose, frueher hiess es "Landstreicher". Spaeter sind die Obdachlosen bissl mehr an die Oeffentlichkeit getreten, u.a. mit Unterstuetzung von Aktionen wie Obdachlosenmagazinen und Tafeln in diversen Staedten. Seitdem weiss ich, dass sie sich selber "Berber" nennen und das Wort "Penner" fuer sie eine Abwertung bedeutet.
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"Taubstumm" -- dieses Wort habe ich als Kind gelernt, und es war fuer mich nicht negativ. Waehrend meiner Studienzeit an der Hamburger Uni geriet ich in meinem Forscherdrang in ein Seminar "Nonverbale Kommunikation" bei den Gebaerdensprachforschern "unter" Prof. Prillwitz (wo man mich auch auf die Moeglichkeit meiner Schwerhoerigkeit hinwies, was sich als wahr bestaetigte). Jedenfalls lernte ich dort, dass Gehoerlose sich als eben dies, "gehoerlos" definieren. "Taubstumm" wurde vor allem im Dritten Reich verbunden mit "dumm" und "geistig behindert", aber schon immer wurden Gehoerlose schnell als "minderbemittelt" beurteilt, weil sich wenige die Muehe machten, mit ihnen zu kommunizieren und festzustellen, dass diese intellektuell ebenso faehig sind wie Hoerende.
Geraeusche machen wie wir, also sprechen, koennten sie durchaus, da die Stimmbaender meist ja vorhanden und funktional sind, nur fehlt ihnen die akustische Rueckmeldung, und da sie nicht hoeren, was sie fuer Geraeusche machen, koennen sie's nicht steuern und darum hoert sich's fuer uns Hoerende komisch an. Seitdem sage ich nicht mehr "taubstumm" sondern "gehoerlos".
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Ich bin als "Weisser" aufgewachsen. Im Ernst: "Sahib, Sahib" habe ich als Kind immer wieder gehoert. Unter Freunden hiess ich "PooCCHakaNNe" (wer die Umschrift zu lesen vermag ... retroflexe Laute?

), das ist MalayaLam und heisst "Katzenauge". Ich wuchs in Kerala auf, in Suedindien.
Meine Eltern waren Entwicklungshelfer und damals brave (und trotzdem kluge) Katholiken, die 1958, noch kurz vor Torschluss, aus der DDR abhauen konnten, man muss dazu wissen, dass Mediziner im Osten damals tendenziell weniger Standesduenkel in sich trugen und weniger dem Daimler hinterherhechelten als im Westen und dass auch die Katholiken im Osten oft sehr viel solidarischer und weniger bigott waren als im Westen. Na gut, jedenfalls gingen meine Eltern mit bestem Gewissen nach Indien, um dort die Segnungen westlicher Medizin zu verbreiten. Natuerlich hielten wir uns nicht fuer Rassisten, das waren doch die Boesen. Aber letztlich chauvinistisch war's dann doch, mit welcher Arroganz die uralte indische Medizin weggewischt wurde und fuer nichtig erklaert.
Aber das wollte ich alles gar nicht erzaehlen ... sondern ... im Sueden Indiens findet man mehrheitlich Abkoemmlinge der indischen "Urbevoelkerung", sehr viel dunkelhaeutiger als die Mehrheit im Norden und der Mitte (auch die vier Sprachen im Sueden -- KannaDa, Tamil, Telugu und MalayaLam -- sind "nicht-indoeuropaeische Sprachen", im Gegensatz zu allen anderen indischen Sprachen). Ich habe haeufig erlebt, dass hellhaeutige Inder sich abfaellig aeusserten ueber die dunkleren Inder und stolz sagten: "Wir dagegen stammen von den Ariern ab!".
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Nur mal so'n paar Sachen, die mir bei diesem Thema einfielen.
Und anstatt "p.c." sollten wir vielleicht grundsaetzlich lieber Worte wie "respektvoll", Achtung", "menschlich" etc. verwenden bzw. uns an diesen orientieren, dann wird's, glaube ich, einfacher. Ich jedenfalls bemuehe mich zwar schon weitestgehend, "politically correct" zu sein, mache mich aber gernst lustig ueber uebertriebene oder IMO falsch verstandene Political Correctness.
Und nein, ich sage nicht "Neger", aber ja, ich sage "Negerkuss". Lustig war das mal, als ich in Hambuich beim Baecker neben einem Kunden stand und der offensichtlich nach dem richtigen Wort suchte und sich dann endlich an "Schokokuss" erinnerte, und dann die schwarze Bedienung hinter der Theke grinsend sagte, "Sie duerfen ruhig 'Negerkuss' sagen!"
Und natuerlich war die schwarze junge Dame genausowenig "schwarz" wie ich "weiss" bin. Ja, ich bin bleich, blond, blauaeugig. "Weiss" bin ich aber bestimmt nicht. Gelblich bis pink vielleicht :-D
Ist schon erstaunlich, wieviel Rassismus und Chauvinismus immer wieder in uns steckt, ohne dass wir uns als schlechte Menschen empfinden oder unsere Gedanken oder Sprache fragwuerdig faenden. Diese Fragwuerdigkeit zeigt sich halt oft erst im Kontrast zu Menschen, die andere Erfahrungen, andere Perspektiven haben. Oder eine andere Hautfarbe, eine andere Kultur oder ein anderes Geschlecht. Oder die gehoerlos sind oder im Rolli sitzen ... oder in der Stadt unter Zeitungspapier schlafen.
Gruesse, Tom