Ich finde es schade, dass vielen Schreibern hier das grundsätzliche Kommunikationsproblem im Kerner'schen Studio nicht aufgefallen ist.
Frau Herman führt direkt ab Beginn der Sendung - für mich verständlich, wenn auch nicht besonders glücklich formuliert - aus, dass sie sich auf die Familienwerte bezieht, die vor dem Dritten Reich schon Bestand hatten und die in der nationalsozialistischen Ideologie missbraucht wurden. Sie sagt weiter, dass diese (pervertierten) Gedanken von "den '68ern" abgeschafft wurden. Das ist für mich so weit alles politisch korrekt. Es ist ihre Meinung, die man nicht teilen muss, aber definitiv nicht verwerflich. Vielleicht hätte sie dazu anmerken sollen, dass sie die Abschaffung der pervertierten Werte richtig findet, dass aber eine Rückbesinnung auf die davor existenten Wertvorstellungen aus ihrer Sicht wünschenswert gewesen wäre, und schon wäre ein Teil des Missverständnisses ausgeräumt gewesen.
Weiter führt sie nun aus, dass sie diese alten Werte, also den Stellenwert der Familie und des familiären Lebens, gut findet. Dabei passiert ihr der erste Fehler: sie sagt nicht ausdrücklich, dass sie die unpervertierten Werte meint. Wenn man nun, weil man es so verstehen möchte oder weil einem der Horizont, den man benötigt um eine länger dauernde Unterredung zu überblicken, fehlt, diese eine Aussage allein auf die Goldwaage legt, kann diese sicherlich mit "enthält Spuren von Billigung nationalsozialistischer Taten" etikettiert werden. Steigt man aber an diesem Punkt nicht intellektuell aus der Diskussion aus sondern hört weiter aufmerksam zu - und ausgestiegen ist meiner Meinung nach zumindest Fr. Schreinemaker - so fällt auf, dass sich Fr. Herman im Weiteren immer wieder ausdrücklich vom Nationalsozialismus distanziert.
Fr. Herman fehlt von meiner Warte betrachtet die Einsicht und Empathie um zu bemerken, dass ihre Gesamtaussage im Großen und Ganzen von vielen verstanden wurde. Es ist und bleibt letztendlich eine Meinungsäußerung, die man daher nicht zensieren sollte, die aber durchaus zur Diskussion stehen darf. Meinem Verständnis nach geht es auch Hr. Kerner in seiner Fragestellung primär um das wie, nicht um das was gesagt wurde.
Im Zusammenhang mit der Sendung sehe ich nur einen Fehler bei Fr. Herman: Sie hat beim Versuch, ihre Meinung kund zu tun und diese zu vertreten Vergleiche und Termini benutzt, die in der öffentlichen Diskussion und Medienlandschaft so fest verankert sind, dass ihre Erwähnung Assoziationen und Untertöne heraufbeschwört, die von ihr nicht beabsichtigt wurden. Interessanterweise erreichen aber nur solche Schlagwörter die Ohren der anderen Gäste, die gemäß ihrer Verwendung im medialen Sprachgebrauch eine Zustimmung zur nationalsozialistischen Ideologie beinhalten. Klare und deutliche Wort der Distanzierung werden anscheinend überhört. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine gewissen Vorverurteilung bereits stattgefunden hatte.
Den "Eklat" verursacht meiner Meinung nach jedoch Fr. Schreinemaker. Sie echauffiert sich an den Schlagwörtern Autobahn und Gleichschaltung und beraubt damit andere Anwesende der Möglichkeit, diese aus ihrer Sicht völlig indiskutablen Reizwörter in einem anderen, vielleicht sogar dem von Fr. Herman beabsichtigten, Kontext zu sehen.
Fr. Schreinemaker gibt dadurch für den Moment die Handlungsnorm vor. Wer sich weiter ruhig verhielte und inhaltlich auf diese Äußerung einginge, anstatt unmittelbar die Benutzung der Schlagwörter zu verurteilen, begäbe sich damit ins Abseits. Daher bleibt auch Fr. Berger keine andere Möglichkeit mehr, als ihren Ausstieg aus der Diskussionsrunde anzukündigen, denn sie hatte zuvor bereits verlauten lassen, dass sie auf eine derartige Diskussion nicht vorbereitet sei. Hr. Kerner wiederum bleibt nun kaum eine andere Möglichkeit, als Fr. Herman aus dem Studio zu bitten, da in dieser "zwei gegen eine"-Situation die Fortführung der Aufzeichnung Vorrang hat. Er hat aus meiner Sicht richtig gehandelt, da eine Klärung der Sachlage in der vorliegenden Situation unmöglich geworden war.
Die für eine derart hochkarätige Diskussion auf schmalem Grat nicht ausreichenden rhetorischen und kommunikativen Fähigkeiten von Fr. Herman sind ebenso Teil ihrer Persönlichkeit wie die Weigerung, einen vermeintlichen Fehler zuzugeben, der auf einem Missverständnis beruht, das zu bereinigen sie nicht imstande ist. Ihr Rückzug in eine defensive Haltung sollte ihr angesichts der permanenten Angriffe von allen Seiten nicht negativ ausgelegt werden. Wäre sie sich jedoch ihrer eigenen Grenzen bewusst gewesen, dann hätte sie nicht versucht, ihre Position in einer derartigen Diskussionsrunde darzulegen. Eine wohlformulierte Presseerklärung wäre wohl die bessere Lösung gewesen.