Ich habe jetzt mal aus "wissenschaftlicher" Neugier auf den Thread geklickt ... und siehe da, ihr diskutiert hier wunderbar, was ich irgendwie mit wissenschaftlichen Theorien begründet in meiner Diplomarbeit beschreibe (Thema: Online-Kommunikation. Wie die neuen Medien unsere Art zu kommunizieren verändern).
Ich gebe zu, mich jetzt nicht durch alle sieben Seite gekämpft zu haben - Verzeihung, bin zu übermüdet, ich muss in 2 Wochen abgeben und leide unter akutem Schlafmangel.
Zum Thema: Sich im Ton zu vergreifen ist Online so viel einfacher, als in der realen Welt. Ja, natürlich macht der Ton die Musik, die auf der vorherigen Seite angemerkt wurde - nur leider fehlt uns hier im Internet genau das: Der "Ton", wobei damit alles gemeint ist: Die Wahrnehmung des Anderen in seiner Fülle - sein Auftreten, seine Stimme, seine Gestik, seine Mimik, der Kontext, aus dem heraus er/sie handelt. Wem ist es denn noch nicht so gegangen, dass man einen Beitrag gelesen hat und erst einmal die Stirn gerunzelt hat. Wenn man es dann noch mal gelesen oder ein wenig darüber nachgedacht hat, machte das Posting dann doch plötzlich Sinn. Oder man hat den Humor und die Ironie plötzlich gesehen.
Solche subtilen Reize gehen bei vermittelten Kommunikation schnell unter, weil uns einfach zu viele Informationen fehlen, die wir normalerweise aus Interaktionen gewöhnt sind. Man muss nur lernen, sich das immer wieder bewusst zu machen ... gerade wenn man das Gefühl hat, dass die Kommunikation aus dem Ruder läuft.
Aber gleichzeitig bietet die Anonymität, die hier jeder von uns in einem gewissen Maße genießt, die Verlockung, die Grenze des guten Geschmacks zu überschreiten; soziale Erwartungen und Normen sind nicht wirklich einschüchternd oder werden als nicht so bindend empfunden, wenn niemand da ist, der sie einfordern kann. Jemanden online ein A***loch zu nennen ist einfach ... einem Kollegen in die Augen zu schauen mit dem Wissen, dass man morgen wieder im gleichen Büro sitzt und ihm das an den Kopf zu knallen, weil einem die Argumente ausgehen, ist etwas ganz anderes. Deswegen ist ja das (mit) höchste Gebot der Netiquette: Nicht vergessen, dass am anderen Ende auch ein Mensch sitzt. Und das vergißt man einfach, wenn man selbst alleine vor dem Screen hockt.
Jemandem also negatives Karma zu verpassen ... das ist so wunderbar einfach. Ein Mausklick und schwupps, ist das eigene Ego befriedigt und der verletzte Stolz wieder hergestellt. Sich in den anderen hineinzuversetzen, über ein Posting zu schlafen ... das ist so viel anstrengender. Und jemanden zu ignorieren - eine einzigartige Chance der Online-Kommunikation - sollte man auch öfter mal praktizieren. In welcher direkten Interaktion kann ich denn einfach gehen, wenn mir der andere zum Hals raushängt? Klar, man kann weggehen, aber unser Regelsystem sagt, dass das schlechtes Benehmen ist. Also sollte man es nicht machen. Online hindert einen keiner, einfach wegzuklicken. Sollte als Alternative zum schwarzen Karma mal in Betracht gezogen werden.
Oh my, seht ihr, ich stecke voll im Stoff. Ehe ich jetzt anfange, Goffman oder Mead zu zitieren oder mit der Systemtheorie um mich zu werfen ...
![Big Grin :D :D](/community/styles/apfeltalk/smilies/Smiling Face.png)
Gute Nacht.