Wie hier schon mehrfach erwähnt wurde, halte ich auch das Abschalten vom Plattformen als wenig geeignetes Mittel, um allgemeine gesellschaftliche Probleme zu lösen. Das Abschalten von einzelnen Plattformen kann dennoch sinnvoll sein. Wenn Verbreitern von Kinderpornografie die technische Möglichkeit dies zu tun entzogen wird, in dem eine "Darknet"-Plattform, die zu großen Teilen zu diesem Zweck betrieben wird, vom Netz genommen wird, dann wird das in aller Regel gerechtfertigt und richtig sein. Ähnlich natürlich bei anderen illegalen Tätigkeiten. So weit muss es mit einer Plattform aber erst mal kommen.
Extremisten zeichnen sich ja oft dadurch aus, dass sie stark entkoppelt von der allgemein anerkannten Wirklichkeit in eigenen Denk- und Wertesystemen agieren. Menschen, die dort angekommen sind, in die breite Gesellschaft zurückzuholen ist ziemlich schwierig und erfordert meiner Einschätzung nach einen stark individualisierten Ansatz, der auf kleinste Gruppen oder sogar Einzelpersonen zugeschnitten ist. Ein plakatives "Telegram wird abgeschaltet", wird hier meiner Meinung nach keine Wirkung zeigen. Es wird andere Mittel und Wege geben sich auszutauschen und neue Gruppenmitglieder zu rekrutieren.
Wiederrum meiner Meinung nach, wäre es am wichtigsten den Unzufriedenen, Wütenden, Frustrierten und Verzweifelten, die aus welchen Gründen auch immer, das Gefühl haben, dass es für sie außer über einen "großen Knall" keine Verbesserung der Situation geben kann, gangbare Mittel und Wege in die Hand zu geben eine positive Veränderung herbei zu führen, ohne einen radikalen Umsturz herbeiführen zu müssen. Also eine tatsächliches real existierendes Alternativangebot.
Die "breite Gesellschaft" hat ein größeres Interesse daran die Menschen, die diese Mitte verlassen haben, zurück zu holen als umgekehrt. Bzw. sollte sie es m.M.n. haben. Sie handelt aber wohl zu wenig dem entsprechend.
Ich kann mir auch vorstellen warum. Menschen "einzufangen", die sich in gesellschaftszersetzendem Gedankengut verlieren ist wahnsinnig anstrengend. Wenn ich im TV mal wieder das Nazi-Pack mit Fahnen durch die Innenstädte marschieren sehe, dann stehen diverse meiner Blutgefäße auch innerhalb von Sekunden kurz vom Platzen (also gefühlt... hoffentlich nicht tatsächlich). Aber es wird langfristig nicht helfen die verbalen oder physischen Keulen raus zu holen. Die Abrenzung und Radikalisierung wird sich dadurch nur verstärken. Wir gegen die.
Umso wichtiger ist diejenigen, die von der gesellschaftlichen Mitte wegdriften zu erreichen, bevor sie die Grenze zur Radikalität überschreiten. Dafür müssen aber allgemeine neutrale Kommunikationswege verfügbar sein, auf denen eine breite Mischung an Meinungen zu lesen/hören/sehen ist.
Was meiner Meinung nach noch mal verstärkt auf den Prüfstand gehört ist die Frage, wie die Vorschlagsalgorithmen der Plattformen aufgebaut sind bzw. aufgebaut sein dürfen. Die immer wieder zitierten "Echokammern" entstehen für mein Verständnis insbesondere dann schnell und einfach, wenn den Nutzern einer Plattform zu fokussiert immer wieder die gleiche Art von Themen/Beiträgen/Inhalten dargeboten werden. Ein (wie auch immer gearteter) Zwang zu "algorithmischer Vielfalt" könnte hier möglichweise schon viel an Selbstverstärkungseffekt von schwierigem Gedankengut raus nehmen.
Zusätzlich braucht es vielleicht auch noch andere neue Regeln, die bei erreichen einer bestimmten Plattformgröße die Plattform mehr in Richtung eines öffentlichen Raums und weniger als Privatveranstaltung einstufen. Also so ähnlich wie, dass für Großveranstaltungen in einem Stadion andere Regeln gelten, als für die kleine private Geburtstagsfeier.