Das sehe ich anders, aber das ist leider nicht Gesprächsgegenstand.
Ist es nicht so, dass Musik zum größten Teil auf irgendwelchen Inspirationen basiert, die sich auf verschiedenen Wegen verbreiten? Ich höre ziemlich viel Musik und besonders bei den Genres in denen ich bewandert bin höre ich laufend Bekanntes, habe ein deja vu nach dem anderen.
Beim HipHop war es meines Wissens nach gängige Praxis viele verschiedene Samples zu verwenden bis das Ganze für rechtswidrig erklärt wurde (was dem HipHop m.E. auch nicht besonders gut getan hat, ist aber Ansichtssache). Meist werden die "Samples" auch gar nicht mehr im Original gesampled sondern erst neu eingespielt - ich denke mal dass millionenschwere Produzenten wie Timbaland es sich gerade noch leisten können ein paar Sessionmusiker zu engagieren um das Sample nachspielen zu lassen sodass man nur noch den Schreiber des Songs bezahlen muss was dann auch billiger ist. Trotzdem kann man es sich nicht leisten, in einem Song mehr als 2-3 verschiedene Samples oder eben nachgespielte Samples einzubauen, anders als das Dutzendweise Sampling in den 80ern und 90ern. Da war das Garagenflair auch noch da und man musste nicht Angst haben, dass einem kohortenweise Anwälte die Bude einrennen.
Insgesamt stellt die Verkommerzialisierung der Musik die Welt vor neue Probleme. Ich denke nicht dass es schlecht ist, mit Musik Geld zu verdienen, aber ich sehe Musik nicht als das Geschäft von Anwälten und Managern zu dem es geworden ist. Im Endeffekt wird Musik von Dingen reglementiert, die nichts mit dem Kern der Sache zu tun haben und die Musik wird nicht mehr von ihren eigenen Gesetzen beherrscht sondern von den Gesetzen, die Anwälte und Richter machen. Klar, denn es geht ja nicht nur um den Spaß an der Freude sondern um harte Währung und die Gunst eines Millionenpublikums. Und das ruft Leute auf den Plan, die meinen, ein Song ist nur die Summe seiner Töne respektive Samples. Man stelle sich vor dass bekannte Bands ihren Sound schützen lassen, so dass nur Black Sabbath wie Black Sabbath klingen dürften und nur Deep Purple eben wie Deep Purple und jede Band die ähnlich klingt muss Lizenzgebühren abführen. Das ist jetzt ein Extrem aber es soll verdeutlichen dass ich nichts davon halte dass Anwälte, Manager und Richter Dinge zwischen Musikern aushandeln.
Ich kann mich nicht entsinnen dass die Band ACME dem Regisseur Kubrick oder seiner Produktionsfirma jemals Geld für ihr kurz eingespieltes "Full Metal Jacket" Sample im Song "Blind" gezahlt hätten. Warner hätte wahrscheinlich mehr verlangt als die Band während ihres gesamten Bestehens verdient hat. Wenn ACME nicht so unbekannt wären wie sonstwas hätte Warner die Band unter Garantie fertiggemacht obwohl dieses Sample nur den Song "Blind" einleitet und nicht wiederholt wird. Musik ist durch ihre Popularität zu einer Milliardensache geworden und wenn man in diesem Geschäft nicht oben in der Sahne mitspielt muss man Angst haben, einfach zermalmt zu werden.
So schaukelt es sich gegenseitig hoch. Musiker klagen und werden verklagt, es geht ums Geld und ums Publikum. Es geht nicht mehr nur darum gute Musik zu machen sondern um Grabenkämpfe bei denen keiner nachgeben will oder kann. Die Parteien haben sich auf ihren Positionen verschanzt und kommunizieren über Anwälte und Manager. Und das Publikum findet das gut weil es einem einerseits gerecht erscheint wenn Timbaland eins auf den Sack bekommt, der verdient sowieso zuviel Geld. Andererseits werden aber auch viele Künstler getroffen, die haargenau das Gleiche machen und keine Millionen damit verdienen. Bands denen es wirklich ausschliesslich um die Musik geht und deren Mitglieder Jobs haben müssen um leben zu können; die aus einem Anflug an Kreativität ein Sample verwenden dass vielleicht an der Stelle gut passt um irgendwas zu verdeutlichen, ein Sample das jeder kennt und zu dem man einen Bezug hat. So, und die sollen jetzt auch für jedes Sample zu Kasse gebeten werden und schön blechen (und zwar alle zum gleichen Tarif wie z.B. Timbaland), dann zahlt irgendwann jeder an jeden und alle sind glücklich?
Nein, denn dann machen nur noch die Leute Musik, die es sich leisten können. Alle anderen bewegen sich in einer Grauzone in der sie hoffen müssen, nicht beachtet zu werden. Der Schrei nach mehr und härteren Regeln wird nicht die Großen treffen, die dann eben die zusätzlichen Tantiemen zahlen und die Kosten auf die Hörer abwälzen. Es wird wie immer die treffen, die sich keine 20 Anwälte leisten können, die vielleicht noch nichtmal einen Anwalt bezahlen können.
Für mich ist Musik immer noch eine der Möglichkeiten, sich auszudrücken, egal wie unbeholfen oder unpopulär das Stück klingen mag. Wenn jemand etwas, was ich
teilweise geschrieben, komponiert, gespielt habe, nimmt, neu zusammensetzt und damit Weltruhm erlangt, dann ist das "bad luck" für mich. Aber ich würde nie einen Anwalt einschalten, weil ich nicht derjenige war, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, mit den richtigen Leuten geredet hat und die Idee hatte, es anders zusammenzusetzen. Wenn jemand das, was ich das Klo runterspüle unten in der Kanalisation auffängt, vergoldet und dann bei Macys für 50.000 Dollar das Stück verkauft dann komme ich auch nicht gerannt und sage "He, das ist aber meine Scheisse, ich will jetzt sofort die Hälfte vom Gewinn haben!" weil ich einfach nicht die Idee gehabt hatte, es
auf diese Art und Weise zu verwenden. Es ist nicht dasselbe als würde ich ein Buch schreiben, es aber irgendwo liegenlassen und ein anderer kommt gelaufen, lässt es verlegen und verdient einen Haufen Geld damit. Es ist nicht das Gleiche wie Musik zu klauen und zu sagen "Heee, ich hole mir nur Inspiration, die sollte für alle kostenlos sein". Es ist auch nicht das Gleiche wie eine Diplomarbeit zu klauen oder falsch zu zitieren und grundlegende wissenschaftliche Gedanken als seine eigenen auszugeben. Bei Wissenschaft geht es um Fakten die korrekt zitiert werden müssen, niemand schreibt eine Diplom-, Magister- oder Doktorarbeit ohne ausführlich mit Quellenangaben zu zitieren. Allerdings muss man hier auch nicht für ein Zitat zahlen, das würde die Wissenschaft zum Erliegen bringen wenn jeder Wissenschaftler seine Gedanken schützen lassen würde und jede Arbeit, die auf seiner eigenen Arbeit fußt um Lizenzgebühren verklagen würde. Bei Musik ist das aber anscheinend in Ordnung, und zwar weil es direkt um viel Geld geht und jeder was abhaben will.
Irgendwann wird den Leuten das Reden verboten werden, weil alles schonmal gesagt wurde. Dann wird es nur noch erlaubt sein, wirklich neue Sätze zu sagen. Sätze wie "ich habe Hunger" oder "mein Kopf tut weh" werden von McDonalds oder Bayer lizensiert werden und ihre Verwendung wird nur noch in Verbindung mit einem BigMac oder einer Aspirin erlaubt sein. Und die ganze Welt wird nur noch beschäftigt sein, sich ihre tollen Sätze rechtlich schützen zu lassen, jede Worthülse wird in einem großen Buch eingetragen sein und wenn man gesetzestreu leben will kann man eine Wortflatrate kaufen. Dann werden alle reich und glücklich, ganz sicher. Und die Welt wird eine gerechtere.
Das was ich geschrieben habe ich keine große Wahrheit. Es soll nur ein wenig zum Nachdenken anregen und vielleicht hat ja jemand irgendwas dazu zu sagen, würde mich auf jeden Fall freuen. Man kann diese Dinge nicht ändern, aber man kann die Sicht darauf ändern.