Hätte man den potentiellen Wachstumsmarkt der Smartwatches ignorieren sollen?
Definitiv. Ich bin der festen Überzeugung, dass Apple da einen Haufen Geld versenkt. Das wäre nicht schlimm, Geld haben die genug. Aber sie vergeuden eben auch Kapazitäten.
Oder weiter den einbrechenden Umsatz mit Musik-Verkauf betrachten sollen, weil man den Trend zum Streamen nicht mitgeht?
Das Problem ist, dass es immer weniger Bereitschaft gibt, für Musik zu bezahlen. Das ist auch beim Streaming so - habe ich gerade neulich gelesen, dass bei Spotify die Nutzerzahlen einbrechen?
iTunes ist wichtig und die Verfügbarkeit von Musik über den Store auch. Aber man hätte das Angebot weiterentwickeln müssen: Videos, Filme, Streaming von Fernseh-Programm (Stichwort Mediatheken).
Oder soll man Apple TV weiter auf den Stand von 2012 lassen sollen und Google und Amazon das Feld überlassen?
Öhm, genau das hat man doch getan. Das Apple TV ist hoffnungslos veraltet, die Rufe der Anwender nach Apps und Spielen sowie nach regionalen Inhalten wie den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland wurden über viele Jahre ignoriert. Die Konkurrenz ist längst deutlich vielfältiger, vielseitiger und funktioneller.
Auch jetzt lese ich wieder (wie jedes halbe Jahr), dass JETZT ENDLICH das neue Apple TV kommen wird. Mal sehen, wie oft ich das noch lese.
Ganz ehrlich, die Beispiele, die du da nennst, haben doch nichts mit "Mindestmaß an Funktionalität" zutun, das sind Detailfunktionen.
Und genau DA triffst du den Punkt! Diese Detailverliebtheit hat Apple mal ausgezeichnet! Früher gab es eine GB-Version und eine US-Version des Mac OS, die britischen Anwender haben einen tierischen Aufstand gemacht, weil der Papierkorb umbenannt wurde, weil man nur noch eine englische Version des Mac OS warten wollte.
Die frühere Apple-Welt war voller solcher kleiner Details, nicht zuletzt beim (von Jobs gescholtenen und verbannten) Newton. Nehmen wir den MagSafe-Anschluss. Ein klitzekleines Detail, das mir schon drei Laptops gerettet hat. Wie oft habe ich Großraumbüros geschockt, indem ich x Meter zur Wandsteckdose gelaufen bin und mit einem "Rückchen" das Kabel vom Rechner gelöst und aufgerollt habe. "Achsoooo, nee, da braucht ihr keine Angst zu haben, der Stecker ist magnetisch" - und alle waren sich einig, dass das schlichtweg genial ist.
Software bauen kann jeder - Apple war geliebt (!) für seine Detailverliebtheit. Dass es genau diese kleinen Erleichterungen gab, die man anderswo nichtmal durch Suchen fand. Und wenn es nur die überlappenden Fenster sind, die Mac OS dem Windows 1.x (und 2.x?) voraus hatte. Es war immer etwas "natürlicher", einen Mac zu bedienen. "How do I scroll trough my list of albums? I take my finger and scroll....." - "Ahhhhh", "ohhhhh", wooooow". Auch ich fand bis dahin das Scrollrad von Sony als DIE Scroll-Lösung schlechthin, bis Apple mir (und allen anderen) zeigte, dass es eben doch noch einen Tick besser geht. Jetzt kann man auf dem Desktop-Rechner und Laptop auch so scrollen, was selten dämlich ist, weil man dafür die Hand anheben muss. Apple hat verstanden: Für PCs und Laptops ist das Trackpad das Maß aller Dinge. Darum habe ich auch am Schreibtisch keine Maus, sondern ein Trackpad. Und das des Mac ist eine Waffe! Ich habe mal diverse externe Tastaturen getestet um sie am PC beim Kunden einsetzen zu können. Alle haben verloren - ausschließlich des Trackpads wegen. Ergebnis: Ich habe bei allen Kunden gesagt "ich unterschreibe den Beratungsvertrag nur, wenn ich mit meinem Mac arbeiten darf!". Ja, das mache ich wirklich so und das werde ich auch weiter so machen, das Trackpad ist für mich einer der wichtigsten Gründe warum ich vom Mac nicht loskomme.
Inzwischen sind es gerade die Kleinigkeiten, die stören, ich habe ein paar wenige genannt (ich hätte deutlich mehr nennen können). So wie das mal bei Windows war, wo man oft dachte "gute Idee, aber eben nicht zu Ende gedacht". Wie das Scrollen auf dem senkrecht stehenden Display. "Schlecht kopiert", kann ich dazu nur sagen. Weil eben keine Philosophie, keine Detailverliebtheit darinsteckt, sondern man nur sieht "OK, scrollen auf dem Display können wir auch".
JETZT sind die neuen Features, dass man seinen Herzschlag und kleine Fisch-Skizzen via Watch versenden kann.
Was JETZT als "neue Funktionen" in "Notizen" eingeführt wird, war auf dem Newton immer so: Dass man Skizzen in die Notizen malen konnte. Und das sogar mit automatischer "Begradigung" geometrischer Elemente, die ich in Notizen wohl immer noch nicht habe. Auch das war auf dem Newton eine Funktion, wo andere aufs Display guckten und "Wow" sagten. In den 90er Jahren.
Nach meiner Auffassung hätte man die Watch sausen lassen sollen und stattdessen iTunes massiv um rechtefreie (zur Not irgendeine "FairDRM"-Lösung wie zu Anfangszeiten mit der Musik) Filme und Videos sowie Mediatheken (in D, in anderen Ländern gibt es sicherlich Äquivalente, die von den Nutzern gern genutzt werden würden) erweitern müssen und diese dann dem Apple TV zur Verfügung stellen müssen. Apps, Spiele, etc., das fehlt dem Apple TV immer noch.
Aber darum geht es doch gar nicht! An einer fehlenden Feature-Liste (Zitat: "Baustellen") den Untergang von Apple festmachen zu wollen ist eben eine sehr dünne Argumentation. Eine vergleichbare Liste kann ich für Windows und Android erstellen. Darum geht's!
Klar kann man sowas bei allen anderen auch finden - aber der Unterschied ist eben, dass man sowas bei Apple früher nicht gefunden hat.
Nehmen wir die rechte Maustaste. Die brauchte man auf dem Apple nicht und unter anderen OS auch nicht, die war nur aus Patent-Umgehungs-Gründen da. Als man unter Windows die Kontextmenüs einführte, haben Apple-Anwender nur gelacht, weil die Menüs bei weitem nicht so verschachtelt und lang waren wie unter Windows. Weil man eben in der Menüleiste nur in diesem Benutzungskontext sinnvolle Einträge fand. Das ist auch nicht mehr so. Leider.