Die Zukunft der MI
2006: Die Musikindustrie bringt ein neues Tonträgerformat heraus: Die "Smart CD". Sie benötigt spezielle Abspielgeräte mit Internet-Anschluß. Die Smart-CDs lassen sich nur abspielen, nachdem vorher eine Lizenz über das Internet gekauft wurde. Lizenzen gibt es nur noch temporär, es ist nicht mehr möglich, ein Musikstück "für immer " zu erwerben. Dafür werden die "Smart-CD"-Spieler im Bundle mit einem Musik-Abo für einen Euro angeboten.
Als erfolgreichste Künstler werden Herbert Grönemeyer, die Scorpions, Mark Oh, Oli P. und Peter Kraus ausgezeichnet. Die Charts werden beherrscht durch Songs wie "Flugzeuge im Bauch Ultimate Edition" mit Herbert Grönemeyer, Oli P. und Xavier Naidoo, "You Keep Me Hanging On" mit den Supremes, Kim Wilde und Sinema sowie "Anyplace, anywhere, whatever" von Nena, Kim Wilde und Jan Delay.
Aus Anlaß der Fußball-WM wird mit großem Marketing-Aufwand eine neue Latino-Salsa-Welle propagiert, mit Carlos Santana und Richie Valens ("La Bamba World Cup 2006 Mousse T. Remix") als Galionsfiguren. Obwohl Brasilien zum sechsten Mal Weltmeister wird, hat die Welle nur mäßigen Erfolg.
Der Absatz der Musikindustrie sinkt weiter.
2007: Mit Hinweis auf die vielen bedrohten Arbeitsplätze setzt die Musik-Lobby ein Gesetz durch, nachdem der Rückruf einmal erteilter Lizenzen möglich ist. Prompt widerruft die Industrie alle bisher erteilten Lizenzen auf nicht kopiergeschützte Tonträger. Damit werden alle älteren CDs und alle LPs illegal, ebenso Plattenspieler und CD-Spieler, die nicht dem "Smart CD" Standard entsprechen. Im Austausch für ihre Original-CDs bietet die Industrie CD-Besitzern eine Einjahreslizenz für die auf der CD vorhandene Musik an.
Nach einer erneuten Abmahnwelle der Kanzlei G. aus M. bricht der Tonträgerhandel über eBay zusammen.
Auf die Veröffentlichung von Charts und die Auszeichnung von Künstlern wird verzichtet. Zunächst einmal müssen die Lagerbestände an CDs abverkauft werden.
2008: Musik wird in Deutschland nur noch im Radio oder bei Konzerten gehört. Das Radio verliert aber an Popularität, seit die Industrie die Sender zwingt, nur noch neueste Produktionen zu spielen und über diese drüberzusprechen, damit das Aufnehmen mit Tapedecks verhindert wird. Konzerte sind fast unbezahlbar geworden, da das gesamte Management von den Eintrittspreisen mitbezahlt werden muß.
Dagegen häufen sich die sogenannten "Open Jams", spontane Zusammenschlüsse von Hobby-Musikern, die auf öffentlichen Plätzen mit Gitarre, kleinem Schagzeug, Keyboard, Saxophon etc. Musik spielen und von begeisterten Zuhörern gefeiert werden.
2009: Die Musiklobby setzt beim Gesetzgeber das Verbot öffentlicher und privater Performance urheberrechtlich geschützen Materials durch. Musikinstrumente werden mit einer Urheber-Abgabe belegt, da man ja eine Gitarre etwa zum Raub-Abspielen von Stones-Songs mißbrauchen kann. "Making music is killing music" lautet die begleitende Kampagne, die den Leuten Unrechtsbewußtsein beibringen soll.
2010: Um Arbeitsplätze bei Musikern zu schützen, wird Musikunterricht rationiert: Es dürfen nur noch so viele Nachwuchsmusiker ausgebildet werden, wie der Markt braucht. Da dieser schneller schrumpft als die Musiker wegsterben, bedeutet das faktisch ein Verbot des Musikunterrichts. Hunderte Musikschulen werden geschlossen.
2011: Sarah Connor versucht mit "Terminate Me" einen neuen, nicht gecoverten Song herauszubringen, wird aber dafür von den Anwälten der Musikrechteinhaber verklagt, die es nicht erlauben, daß neue Urheber am kleiner werdenden Kuchen mitverdienen wollen. "Composing music is killing music" heißt das Schlagwort der Inhaber alter Rechte. Sarah Connor gewinnt den Rechtsstreit, wird aber kurz darauf unter mysteriösen Umständen ermordet aufgefunden. Von nun an traut sich niemand mehr, neue Songs zu schreiben.
2012: Die Eltern des 6-jährigen Wolfgang Amadeus Moherb, des "Jugend-musiziert"-Siegers, werden zu 150.000 Euro Schadenersatz an die Musikindustrie verurteilt, weil sich herausgestellt hat, daß ihr Kind erst seit eineinhalb Jahren musiziert, also nach dem Inkrafttreten der Unterrichts-Rationierung. Seine Lehrerin, die Violinistin Anne-Sophie Mutter, entzieht sich einer Gefängnisstrafe durch Flucht in den Irak, dem einzigen Land, das nicht unter Kontrolle der westlichen Wertegemeinschaft und damit der Musikindustrie ist.
2020: Nahezu jede tonliche Äußerung, darunter Motorgeräusche, Trittschall, Türschließgeräusche und gesprochenes Wort, sind unter urheberrechtlichen Schutz gefallen. Eine Tür zumachen darf quasi nur noch, wer nachweisen kann, daß der dabei erzeugte Schall nicht dem von Porsche patentierten ähnelt. Die einzigen lizenzfreien Worte sind "der", "die", "das", "und" und "hallo". Die Gespräche von Menschen, die sich das "Deutsche Sprache Abo" nicht leisten können, sind daher fast unverständlich geworden. Überhaupt ist es sehr still geworden, da fast jede Schallerzeugung das Risiko einer Abmahnung durch den Münchner Justizkonzern G. und Söhne mit sich birgt.
Die Anwälte der Ton und Schall Industrie-Gemeinschaft machen Jagd auf Park- und Waldbesitzer, die in ihren Anwesen das illegale Singen von Vögeln dulden.
2050: Europa und die USA sind in einem Handstreich vom Irak eingenommen worden. Die Iraker brauchten nur einen einzigen Muezzin, um die halbe Streitmacht der Westmächte auszuschalten, die sich, an Schall nicht mehr gewöhnt, mit zugehaltenen Ohren am Boden wälzte. Die andere Hälfte und die zivile Bevölkerung wurden dadurch gewonnen, daß man ihnen Kinderlieder vorsang. Die Menschen fingen an zu weinen und den Invasoren auf Knien zu danken, für diese neue und wunderbare Gabe, die sie so lange vermißt hatten. Seither ist der Islam die größte Weltreligion und das Reich Allahs unter der weisen Herrschaft des Kalifen von Washington schwingt sich auf zu neuer Blüte.