Der G8-Gipfel ist jedoch mehr als ein Staatsbesuch. Er ist ein Symbol der Macht und der Entschlossenheit, die eigenen Interessen gegenüber dem Rest der Welt durchzusetzen. Das Gebilde der G8 ist kein Rechtsträger und keine offizielle Institution wie die EU, die auf parlamentarisch ratifizierten Verträgen beruht und - zumindest im Ansatz - demokratischen Regeln folgt. Die G8 sind ein informeller Staatenclub, der keine Mitgliedsausweise vergibt. Er gründet sich nicht auf »gemeinsame Werte« oder historische Verbundenheit, die einzige Qualifikation fürs Dabeisein ist eine ökonomische: die Zugehörigkeit zu den mächtigsten Industriestaaten (G7) und dem ungeliebten, aber einflußreichen wirtschaftsstrategischen Partner Russland. (...)
Während dieser »Club der 8« ursprünglich den Zweck hatte, die Wirtschaftspolitik der beteiligten Staaten zu koordinieren und ihre Ökonomie zu stärken, verfolgt er seit mehreren Jahren überwiegend geostrategische Ziele: die weltweite Durchsetzung des neoliberalen, also rein marktbasierten Wirtschaftsmodells, von dem die G8-Staaten aufgrund ihrer ökonomischen Dominanz am meisten profitieren. So repräsentieren die G8 nur 4% der Staaten und 13% der Bevölkerung der Welt, jedoch 79 der 100 größten transnationalen Konzerne und acht der zehn bedeutendsten Banken. Die G8 verfolgen ganz offen das Ziel, wirtschaftliche und politische Entwicklungen auf der gesamten Welt zu beeinflussen. Hierfür besitzt der informelle Club die Macht, jedoch nicht die geringste Legitimation.
Dieses immer offensichtlicher aufscheinende Legitimitätsproblem führte dazu, daß die G8 die Agenda der eigenen wirtschaftlichen Prosperität weniger offen propagiert und ihre Existenz zunehmend mit der Verfolgung positiv besetzter Ziele rechtfertigt; aktuell sind dies z. B. Armutsbekämpfung und Klimaschutz. Schon rein formal besitzt die G8 auch dafür keinerlei Mandat, denn hier sind andere, demokratisch legitimierte Institutionen wie die UNO, die EU und die nationalen Parlamente zuständig. Vor allem aber sind die diese humanitären und ökologischen Katastrophen im wesentlichen von den Mitgliedsstaaten der G8 verursacht worden und im Rahmen der UNO gehören die G8-Staaten zu den wirkungsvollsten Bremsern und Blockierern der Abkommen, deren Ziele sie nach außen hin propagieren (Milleniumserklärung, Kyoto-Protokoll). Ganz offenbar ist eine informelle und völkerrechtlich nicht greifbare Plattform zur Durchsetzung bestimmter Ziele nützlich. Es besteht jedoch kein Hinweis darauf, daß diese Plattform dazu dient, die von den Mitgliedsstaaten verursachten Krisen »schnell und unbürokratisch« zu bewältigen – ganz abgesehen davon, daß die Hauptleidtragenden dieser Krisen gar nicht erst in diese Plattform eingebunden sind.
(...) Die G8 ist auch deshalb illegitim, weil nicht nur fast sämtliche Staaten keinerlei Möglichkeit der Mitsprache haben. Auch die Zivilgesellschaft bleibt vollständig ausgeschlossen vor dem Zaun; es gibt keinerlei Konsultationen der G8 mit NGOs und ähnlichen politischen Akteuren, wie es z. B. innerhalb der UNO zumindest innerhalb gewisser Grenzen üblich ist. Auch hier empfindet der Veranstalter offenbar selbst ein Legitimitätsproblem: auf der Website der deutschen G8-Präsidentschaft ist dem Thema »Zivilgesellschaft« ein eigener Menüpunkt (von insgesamt nur sieben) gewidmet. In diesem Bereich finden sich aber außer allgemeinen lobenden Worten für bürgerschaftliches Engagement praktisch keinerlei Ansätze für einen Dialog; die Wörter »Einbindung« oder »Teilnahme« kommen erst gar nicht vor. Die angeführten Beispiele für eine Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft beziehen sich fast ausschließlich auf die Bundesregierung allein und haben nichts mit der G8 zu tun. Die einzigen zum Gipfel eingeladenen Gäste sind einige Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren, die vom »Junior8«-Gipfel delegiert werden, der parallel zu Heiligendamm von der UNESCO und der US-Investmentbank Morgan Stanley veranstaltet wird (...)
Attac München