Interview mit Nintendo-Präsident Iwata
Warum es besser ist, manchmal nicht auf die eigenen Kunden zu hören: Nintendo-Präsident Satoru Iwata erklärt, wie und warum die neue Spielkonsole „Wii“ entstand. Iwata traf FOCUS-Redakteur Matthias Matting am Rande der Spielemesse E3 zu einem exklusiven Gespräch.
FOCUS: Zurzeit scheint Nintendo die einzige Firma zu sein, die sich ernsthaft an Nicht-Spieler richtet. Was hat Sie dazu getrieben?
Iwata: Es begann tatsächlich in Japan – nicht ganz überraschend, das ist unsere Heimat. Vor fünf, sechs Jahren befand sich der japanische Markt in einem Abwärtstrend. Immer weniger Menschen befassten sich mit Videogames, und auch die Anzahl der Neueinsteiger wuchs nicht mehr. Wir vermuteten, dass dieser Trend auch auf den weltweiten Markt übergreifen könnte. Weil wir die ersten waren, die diese Abwärtsbewegung erkannten, hielten wir es auch für unsere Mission, die Initiative zu ergreifen, mehr Menschen mit Videogames vertrautzumachen. Unser Ziel ist es, unsere Kunden in der ganzen Welt zu befriedigen, ihnen ein Lächeln auf ihre Gesichter zu bringen. Also warum sollen wir nicht mehr und mehr Menschen weltweit glücklich machen?
FOCUS: Aber gleichzeitig wollen Sie auch die Zielgruppe der erfahrenen Gamer ansprechen – kann das überhaupt funktionieren?
Iwata: Menschen anzusprechen, die bisher keine Berührung mit Computerspielen hatten, ist einfach. Wir müssen nur Software schaffen, die für jedermann verständlich ist. Dass die Spieleindustrie so groß geworden ist, verdankt sie allerdings den Hardcore-Gamern, den Spielern der ersten Stunde. Deshalb müssen wir stets auch die Bedürfnisse dieser Gruppe befriedigen. Wir wissen, dass die besonders einfachen Spiele dafür nicht geeignet sind. Wir müssen deshalb auch Spiele programmieren, die unsere erfahrenen Kunden beeindrucken, mit Ideen, die in der Branche völlig neu sind. Das ist sicher keine leichte Aufgabe. Unsere Schlussfolgerung bestand deshalb darin, die Benutzer-Schnittstelle zu ändern. Mit dem neuartigen Steuerhebel können wir Spiele sowohl einfacher gestalten als auch erfahrenen Gamern etwas brandneues bieten.
FOCUS: Sony und Microsoft verfolgen mit ihren neuen Spielkonsolen deutlich andere Konzepte – sie wollen komplette Heimunterhaltungs-Zentralen verkaufen. Sehen Sie diese Firmen noch als Konkurrenz?
Iwata: Sony und Microsoft stehen miteinander in sehr hartem Wettbewerb, denn zurzeit verfolgen sie fast identische Ideen. Nintendo hingegen setzt auf ganz andere Faktoren, ich sehe uns deshalb nicht als Konkurrenten. Für falsch halte ich aber die Darstellung, dass nur Microsoft und Sony, nicht jedoch Nintendo, auf allerneueste Technik setzen. Auf die Autoindustrie übertragen könnte man sagen, dass Sony und Microsoft versuchen, mehr PS zu liefern, damit ihre Autos schneller und schneller fahren. Das ist die einzige Richtung, in die sie schauen. Aber das ist nicht Nintendos Richtung. Wir bauen ein Hybridauto, das heißt wir verwenden ebenfalls allerneueste Technologie, aber mit einem anderen Ziel – dass unsere Kunden mit einer Tankfüllung weiter fahren können. Die Wii-Konsole kann zum Beispiel 24 Stunden am Tag mit dem Internet verbunden bleiben, weil sie nur sehr sehr wenig Strom verbraucht. Das wäre mit der PlayStation 3 oder der Xbox 360 nicht möglich.
FOCUS: Wie haben Sie dieses neue Konzept denn erarbeitet? Ist es nicht kompliziert, sich aus dem Blauen heraus etwas völlig neues auszudenken?
Iwata: Für Außenstehende wird Nintendo als Firma wohl immer ein bisschen mysteriös bleiben, weil sie anders funktioniert. Das liegt einerseits daran, dass wir nun schon so viele Jahre in diesem Geschäft sind. Wir glauben, dass unser Geschäft darin besteht, den Menschen einen Gefallen zu tun. Dieser Grundgedanke ist in unsere Firma implantiert, seit langer Zeit. Andererseits ist Nintendo sowohl der weltgrößte Spielesoftwarehersteller als auch der größte Spielehardwareproduzent der Welt. Hard- und Softwareentwickler sitzen im selben Gebäude, sie treffen sich oft und tauschen Informationen aus, mit dem Ziel, die allerbeste Hardware zu schaffen, die die spannendsten Videogames herzustellen ermöglicht. Wenn es um die Weiterentwicklung der Hardware geht, fragen die anderen Firmen ihre Kunden – und deren Antwort besteht darin, sich hübschere Grafik und schnellere Prozessoren zu wünschen. Danach konstruieren sie die Hardware, um sie schließlich den Softwareherstellern vorzustellen: Schaut, wir haben diese Hardware mit jenen Fähigkeiten, warum programmiert ihr nicht ein bisschen Software dafür? Wir fragen unsere Kunden nicht „Was wollt ihr?", weil die einfache Antwort lautet: „Wir wollen überrascht werden. Mit etwas unerwartetem – und wir können natürlich nicht sagen, was genau das ist“. Also muss Nintendo solche Ideen entwickeln. Was könnte unsere Kunden überraschen? Die Hardware-Entwickler müssen sich dann überlegen, was für Software benötigt wird – und die Spieleprogrammierer müssen ihre Arbeit an die Hardware-Entwürfe anpassen.
FOCUS: Wie lange hat der Entwicklungsprozess von Wii gedauert? Unterscheidet sich das Ergebnis stark von Ihren ersten Entwürfen?
Iwata: Vor ungefähr drei Jahren haben wir mit der Entwicklung von Wii begonnen. Was Sie jetzt sehen, wurde kurz vor der E3-Messe 2005 in dieser Art entworfen also vor 13 Monaten. Es gab aber keinen direkten Weg zum Ergebnis, wir haben wirklich viele verschiedene Ideen verfolgt, und am Ende hat sich der Controller, wie er jetzt ist, durchgesetzt. Eines hat sich aber während des ganzen Prozesses nie geändert: dass wir es als unsere Mission ansehen, den Anteil der Videogamer unter der Bevölkerung zu erhöhen.
FOCUS: Nintendo versucht sich nicht zum ersten Mal als Innovator – es gab auch missglückte Experimente wie die 3-D-Konsole „VirtualBoy“. Was ist diesmal anders?
Iwata: In der Tat hat Nintendo auch früher schon versucht, die Industrie in bestimmter Richtung voranzubringen. Nun kann man beim VirtualBoy tatsächlich nicht von einem Erfolg sprechen – ich halte das aber trotzdem für einen mutigen Versuch, etwas komplett anderes auszuprobieren. Leider war ich damals noch nicht bei Nintendo. Dass heute die Verhältnisse anders liegen, resultiert aus der Branchenkrise – wenn wir weiter nur versuchen, die bereits getesteten Spielformate auszubauen, dann hat die Gamesbranche keine Zukunft. Deshalb ist unsere Art der Innovation hier wirklich notwendig: Wir müssen das ganze Bild ändern, nicht nur ein paar Details.
FOCUS: Man spricht zurzeit oft davon, dass alle Formen der Unterhaltung zusammenwachsen, auch in einzelnen Geräten. Verfolgt Nintendo diesen Trend auch?
Iwata: Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, in eine Spielkonsole auch noch andere Funktionen einzubauen, wie etwa Musik und Video. Wir wollen Wii jedoch vor allem wegen der einzigartigen Spielerfahrung an die Menschen verkaufen. Wenn wir nun nicht unnötig die Kosten erhöhen, wenn die Benutzung von Wii dadurch nicht komplizierter wird, unter diesen Voraussetzungen können wir auch über andere Anwendungen nachdenken. Wir werden zum Beispiel den Opera-Webbrowser als Option für die Konsole anbieten. Wenn Sie dieses Programm integriert haben, kommen sie, vom Einschalten der Konsole an gerechnet, binnen drei Sekunden ins Internet, und zwar auf dem Fernseher in Ihrem Wohnzimmer. Sie müssen also nicht erst ins Büro, den PC anschalten, minutenlang warten, bis der PC gestartet ist.
Quelle:
www.focous.de