Die Vorstellung des iPhone X war ein riesiges Medienereignis. Die Medienpräsenz von Apple nimmt immer mehr zu. Früher fanden Keynotes quasi nur in Spezialmedien statt, heute berichtet jede (kleine) Zeitung, jeder Radiosender und jeder Blog oder Podcast darüber. Die dort gezeigten Neuerungen liefern dann Vorlagen für viele Artikel, auch meinungsbezogene, die oft von der sonstigen Expertise der Medien abweichen und rein auf Fehlinformationen und Missinterpretationen von Technik fußen. Einer dieser Artikel beschäftigt mich seit einigen Tagen sehr.
Die Rede ist von einem Artikel aus der Süddeutschen mit dem Titel „Das iPhone X: Ein Sprung in düstere Vergangenheit„. Obwohl das Medium über einen eigenen Digital-Bereich verfügt, ist dieser Artikel – sehr passend und sinnstiftend – nicht in diesem Bereich einsortiert. Vielmehr befindet er sich im Bereich „Kultur“. Kernthema des Artikels ist Face ID im neuen iPhone X. Dabei geht es absolut nicht um das Thema Sicherheit, sondern um Rassismus und Angst vor dem Staat. Apple reduziere damit den Mensch auf äußerliche Merkmale – und die Gesichtserkennung sei der neue Ansatz für politische Verfolgung.
„Genauer gesagt, ist es ein Schritt ins späte 19. Jahrhundert, als der Mensch auf seine Physiognomie reduziert wurde. Das war im Kolonialismus und dann in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts die pseudowissenschaftliche Basis für Abscheulichkeiten, Verfolgungen, Völkermorde, nicht für technische Erneuerung. Der Mechanismus ähnelt sich allerdings. Damals wie heute werden Menschen und Gesichter vermessen und Schlüsse daraus gezogen. Und darin liegt eine Gefahr.“
Apple ist keine politische Institution, verfügt über keine Exekutive und auch kein Heer von Auftragskillern – soweit wir wissen. Vielleicht weiß die Süddeutsche hier mehr – wir würden, im Sinne des guten Umgangstons von Journalisten, um die Offenlegung der Quellen bitten. Sicherheitsmerkmale reduzieren immer auf gewissen Dinge – eben die Merkmale. Hämisch könnte man hier festhalten, dass auch der Fingerabdruck die Reduktion einer Person ist. Noch dazu auf wesentlich weniger – nur auf den Finger.
Ein Grundproblem des Artikels ist das fehlende technische Verständnis: Apple zieht keine Schlüsse aus dem Gesicht, zumindest nicht offiziell. Dies äußert sich später noch einmal in dem Artikel direkt.
„Nun stilisiert Apple seine technischen Neuerungen gerne zur Popkultur. So haben die Ingenieure in Cupertino eine Spielerei entwickelt, die niedlich wirkt, aber die finsteren Dimensionen der Gesichtserkennung entlarvt. Es handelt sich um die sogenannten Animojis. Das sind animierte Emojis, also bewegliche Versionen der Bildchen, mit denen man in Textnachrichten und auf sozialen Netzwerken komplexe Aussagen und Gefühlslagen auf ein Symbol reduzieren kann.“
„Auf dem neuen iPhone kann man nun Pandabärchen, Welpenköpfe oder Kackhaufen mithilfe der Gesichtserkennung ansteuern und dazu bringen, die Mimik des Nutzers zu simulieren. Das bedeutet, dass das iPhone viel mehr kann, als nur ein Gesicht zu erkennen. Nachdem Gesundheitsanwendungen in der digitalen Industrie einer der am schnellsten wachsenden Märkte sind, ist anzunehmen, dass es bald schon Apps gibt, die via Gesichts-Scan medizinische Diagnosen erstellen. Und wer will verhindern, dass eine Anwendung bald mit Technologie aus Stanford sexuelle Vorlieben eines Nutzers erfasst?“
Hier liegt eine völlige Fehlinterpretation der Animojis vor. Diese imitieren lediglich das, was sie in dem Gesicht erkennen. Es ist ein Scan mit einer 3D Kamera, keine Interpretation. Auf diesem Fehlschluss, und der mangelnden Recherche, fußen viele sehr feiste Behauptungen des Artikels. Apple erkennt, so die Süddeutsche, künftig quasi alles: Von der Sexualität bis hin zur politischen Gesinnung – damit wird politische Verfolgung einer neuen Art möglich.
„Apple versichert, alle Daten aus der Gesichtserkennung würden nur auf dem Gerät selbst gespeichert, nicht auf den Cloud-Servern des Konzerns. Doch das Vertrauen hat die Firma in diesem Sommer verspielt, als es auf Anweisung der chinesischen Behörden die VPN-Apps aus seinem Angebot entfernte, also jene Programme, mit denen dort Bürger die digitalen Blockaden ihres Landes umgehen konnten. Auch bleibt die Frage, ob Apple wirklich langfristig auf den riesigen Datensatz verzichten will, der so entsteht. Google hat bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz ja gerade deswegen einen solchen Vorsprung, weil es die Daten aus dem Nutzerverhalten nutzt, um seine Programme zu füttern und so zu perfektionieren. Und wer garantiert dann den Nutzern, dass es nicht bald Trojaner gibt, die Gesichtsdaten mitsamt der Gefühlslagen aus dem iPhone abgreifen?“
Hier kann ich dem Journalisten nur raten, sich mit dem Konzept der Secure Enclave zu befassen. Apple legt FaceID dort ab und kommt letztlich selbst nicht an die Daten. Ein Vorteil, der dem Konzern im Fall um San Bernandino und FBI sehr half. Eben um nicht von Regierungen ausgenutzt zu werden, wird Apple dies weiterhin hochhalten. Zwar ist der Vergleich zu Google rühmlich, das Argument der VPN Apps aber mehr als schwach. Apple gibt sich Marktregularien hin, ein Austritt aus dem chinesischen Markt ist einfach nicht denkbar. Zwar ist die Entfernung der VPN-Apps vielen Nutzern auch hierzulande sehr aufgestoßen, dennoch kann ich den Konzern hier aus wirtschaftlicher Sicht sehr gut verstehen. Letzten Endes: Apple ist ein börsennotiertes, gewinnorientertes, den Aktionären verpflichtetes Unternehmen. Den Handel aus China aus diesem Grund einzustellen, wäre auch den Anlegern gegenüber nicht denkbar gewesen.
Man entschuldige mir an dieser Stelle den leichten Seitenhieb, ich kann hier nicht wiederstehen: Wer im Glashaus sitzt, sollte allerdings ohnedies nicht mit Steinen werfen. Auch Zeitungen haben einen Auftrag gegenüber der Allgemeinheit. Sie sollen informieren und aufklären. Gerade aus diesem Aspekt sind Paywalls diskussionswürdig. Die Süddeutsche besitzt eine solche Paywall. Ich möchte sie an dieser Stelle nicht dafür verurteilen – Journalismus kostet und Leistung (der Redakteure) muss auch entlohnt werden. Dennoch sollte jedes gewinnorientierte Unternehmen bzw. ein Unternehmen, das auch Mitarbeiter zahlen muss, vorsichtig damit sein, anderen Konzernen das Gleiche vorzuwerfen,…
Welchen Weg die Süddeutsche bei ihrer digitalen Berichterstattung einschlagen möchte, wird allein schon beim Betrachten der Kategorie klar. Es werden generell ethische Diskussionen angestoßen, die allesamt keine Antworten enthalten. Vielmehr werden Halbwahrheiten verbreitet und eindeutig Angst und Paranoia geschürt. Angst ist ein mächtiges Instrument aller Medien – in erster Linie wird damit Auflage gemacht. Weiterführende gesellschaftliche Entwicklungen sind hier offenbar unerheblich. In dem Artikel wird Gesichtserkennung als wesentlicher Punkt zur Analyse von Menschen dargestellt.
Ausgehend davon wird politische Verfolgung – aufgrund der eigenen politischen Vorstellung oder gar Religion oder Sexulität – ermöglicht. Vor allem in den letzten Jahren bewies sich Apple als vernünftiger politischer Player, zumindest was die Themen Sexualität, Gleichberechtigung aber auch den Umgang mit Flüchtlingen betrifft. Aber klar – ein Konzern, dessen Chef selbst homosexuell ist, wird die nächste Waffe zur Verfolgung von Homosexuellen liefern,… diese These ist mehr als an den Haaren herbei gezogen und einfach kein zweites Mal bedacht. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine gute Ablenkung. Während Apples negative, politische Einmischung (abseits von Steuerthemen) de facto nicht belegbar ist, ist eine Auswirkung auf Politik und Machtverhältnisse sehr wohl nachweisbar: Die der Medien und Zeitungen, wie sie die Süddeutsche eine wäre,…
Dennoch positiv erwähnen möchte ich den Artikel „Wer unsere Gesichter wirklich will„. Dort stellt die Süddeutsche einiges klar – in Bezug auf den Tage zuvor veröffentlichten, oben angeführten, Artikel. So positiv diese Klarstellung an sich sein mag, so negativ und nicht den journalistischen Qualitätskriterien Genüge tuend ist der ursprüngliche Bericht. In Zeiten wie diesen sollen und müssen Qualitätsmedien durch messerscharfe, tiefgreifende und wahre Berichte punkten. Der Schnellschuss, der zuerst nur einmal Panik schürt, mag Klicks bringen – schadet aber langfristig dem Medium und dem Journalismus an sich. Es darf und muss Zeit für Recherche geben – und nicht nur lose Klarstellungen.
Trotz allem möchte ich mich grundsätzlich anschließen. Moderne Technik wird tatsächlich immer beunruhigender, vor allem sobald diese in der Lage ist, Aufgaben und Tätigkeiten des Menschen zu übernehmen. Wir werden in den kommenden Jahren derartige Diskurse zu führen haben, wir werden ethisch einige Dinge zu bewerten haben. Aber bitte nicht so,…
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