Editor's Blog

Ich halte ja nichts von gendern, aber …

Selten aber doch reizt es uns, Themen abseits von Apple zu kommentieren. Noch seltener werden wir politisch oder springen auf Wutbürger-Themen bzw. aktuelle Shitstorms auf – doch diesmal kann ich nicht anders. Ich möchte mich mit dem Thema der Geschlechterbilder, weit über das Thema gendern hinaus, beschäftigen. Am Ende ist – vielleicht – sogar Apple hier ein Thema?!

Das Thema gendern geht seit vielen Monaten durch das Internet. Was mit #Gamergate begann, ging später zu #MeToo – Themen, die sich schnell mit deutlich mehr als Gleichberechtigung beschäftigten. Die Meinungen hier sind vielfältig, inklusive der obligaten Übertreibungen beider Seiten. Zuerst möchte ich die Überschrift erläutern und vielleicht etwas Aufregung herausnehmen. Der Volksmund sagt, dass alles vor einem „aber …“ eine Lüge ist. So auch hier. Das soll keine schlechte Ausrede für eine Clickbait-Überschrift sein, sondern vielmehr ein – für mich – wichtiger Hinweis, der bei dieser Debatte nie vergessen werden darf: Von Meinungen von Medien über Politiker bis hin zu simplen Community-Beiträgen, oft ist das „aber …“ Motto anwendbar. Nein, das soll nicht der nächste Artikel eines Wutbürgers sein, sondern ein kleinlautes Nachdenken – auch über mein Verhalten und meine Arbeit.

Gendern in Artikeln

Eigentlich möchte ich das Thema „Gendern in Artikeln“ nur geringfügig streifen. Ich vertrete hier die klare Einstellung, nicht zu gendern, einige meiner Kollegen sehen das genauso. Ein Beitrag zum anhaltenden Sexismus? Meiner Meinung nach nicht, denn ich habe mir vor Jahren angewöhnt, generell keine Geschlechtsform zu nutzen. Ich habe kein Interesse daran, Männer oder Frauen separat oder gemeinsam anzusprechen, stattdessen vielmehr die gemeinsame Menge an „Menschen“.

Ein Beispiel? Ich schreibe nicht Studenten, sondern Studierende. Ein besseres Beispiel? Ich schreibe meistens nicht „unsere Leser oder Zuhörer“, stattdessen spreche ich von unserem Publikum – kleine Maßnahmen, die mich langes Training kosteten. Am Ende erfülle ich nicht das Kriterium des korrekten Genderns – aber den mir sehr wichtigen der Gleichberechtigung.

(Moderne) Rollenbilder?

Häufig lese ich Beiträge und Statements, dass sich doch ohnedies schon alles verbessert hat. Dem kann ich mich weitgehend anschließen. Frauen dürfen in Europa Auto fahren, wählen gehen und sind weitgehend selbstbestimmt. Ist das genug? Nein! Ich will jetzt nicht in den großen Chor des „Gender-Pay-Gap“ einstimmen, vielmehr möchte ich eine Beobachtung aus meiner Arbeit im Journalismus – in Wort und Schrift – bekannt geben.

Das Rollenbild der Frau wurde wesentlich moderner. Immer wieder gerne zeige ich hier ein Video einer alten Werbung:

Sie stammt von Dr. Oetker und ist aus dem Jahr 1954. Während positiv bemerkt werden kann, dass immerhin (schon) eine arbeitende Frau gezeigt wird, zerbricht alles bei der Aussage: „Wir wissen ja – eine Frau hat zwei Lebensfragen. ‚Was soll ich anziehen?‘ und ‚Was soll ich kochen?‘“. Diese Zeiten sind vorbei, oder?

Werbung muss sich ändern

Und hier meine These: Nein, hat es sich eigentlich nicht. Ich schreibe seit über einem Jahr die Sektion „Klick and Snap“ in der wir versuchen, euch jeden Tag ein möglichst interessantes Angebot zu unterbreiten. Das ist nicht nur unserer Community aufgefallen, auch viele Händler und Hersteller kennen diesen neuen Bereich – und schicken mir Tag für Tag eine hohe zweistellige Anzahl an E-Mails mit Vorschlägen. Interessant sind hierbei oft nicht die Inhalte, sondern wie diese präsentiert werden. Ich betrachte jetzt seit über einem Jahr interessante Beifügungen wie „für den Mann“ oder „für die Frau“ und muss meine Beobachtungen teilen.

Das beste Beispiel kann ich aus dem Kontext von Mutter- und Vatertag geben. Für beide „Events“ gibt es natürlich die passende Werbelinie und passende Rabatte für diverse Produkte, auch im Bereich der Elektronik. Hier die Top Drei beworbenen / rabattierten Produkte, die mir zugesandt wurden:

  • Muttertag: Staubsaugerroboter, Küchenmaschinen und öh, 
    …Spielzeug
  • Vatertag: Autozubehör, Bluetooth-Lautsprecher, Drohnen

Hier ist für mich ein klares Rollenbild erkennbar, das dem der 1950er durchaus ähnlich ist. Die Gegenstände sind moderner und Platz drei der Charts zum Muttertag stimmt mich zumindest insofern positiv, das sexuelle Selbstbestimmung offenbar in der Gesellschaft angekommen ist. Am Ende hat sich aber wenig an den Rollenbildern, wie sie die Werbebranche sehen möchte, getan.

Die Frau hat – laut vielen Herstellern – den Haushalt zu erledigen. Hier wird am besten etwas geschenkt, das ihr die schwierige Arbeit erleichtert. Sie hat keine eigenen Hobbys, sie hat offenbar keine Freizeit. Ab und an gab es (schlechte, kleine) rosarote Bluetooth-Boxen oder Kopfhörer – das konkurriert die Grundidee jedoch nicht, diese können auch während der Hausarbeit genutzt werden.

Bei Männern hingegen, ganz klar, reines Testosteron. Dem Familienerhalter sind Gegenstände für sein wichtigstes Gut zu schenken: sein Auto. Dazu kommt laute, wummernde Musik. Bitte nichts mit verständlichem Text, denn das häufigst genutzte Wort in den Anzeigen war: (Mega-)Bass! Gendern wird da auch sofort vollkommen vergessen ,… 

Die Sache mit den Farben

Auch generell auffällig: Das Thema Farben hat sich ebenfalls kaum weiterentwickelt. Wenn ein Produkt für Frauen gedacht sein soll, muss es klar rosa sein. Okay, um ehrlich zu sein: Es wurde etwas besser. Viele Produkte gibt es jetzt auch in Pink. Hier höre ich gerne das Argument, dass viele Produkte in vielen Farben angeboten werden. Das stimmt zwar soweit, wie diese getargetet sind, zeigt sich aber besonders wieder am Beispiel von Mutter- und Vatertag. Zum Muttertag waren fast nur rosarote Produkte im Angebot, zum Vatertag schwarze oder blaue.

Apple und die Gleichberechtigung

Wir sind hier ein Blog, der sich (sonst) ausschließlich mit Apple-Themen beschäftigt – dementsprechend möchte ich den Konzern aus Cupertino hier auch gerne betrachten und kann ihn durchaus positiv herausstreichen.

Beginnen wir beim Beispiel Farben: Ja, der Konzern bietet auch rosafarbige Produkte an. Seitdem Apple die Farbgebung vor allem an Metallfarben aufhängt, finde ich dies in Ordnung. Es gab in diesem Jahrtausend keine einzige Aktion, bei der – seitens Apple – eine spezielle Farbgebung im Angebot oder Fokus war.

Die Apple Watch soll das am stärksten anpassbare Produkt sein – ist sie auch – und Apple arbeitet hier ebenfalls mit Klischees, bietet jedoch eine breite Palette an. Frau sein bei Apple heißt vor allem: mehr als rosarot. Ja, auch ich gehe tatsächlich davon aus, dass Armbänder in Flieder, Violett oder meinetwegen auch Rosa häufiger von Damen gekauft werden. Immerhin gibt es hier aber Auswahl – eine breite Auswahl für jeden Geschmack.

Besonders positiv finde ich den Auftritt im Marketing. Apple zeigt uns immer wieder professionelle Anwender – und zwar beider Geschlechter. Das kann sogar von der anderen Seite aufgezäumt werden: Apple zeigt auch Männer in anderen Situationen. Wer sieht mit den Kindern die letzten Fotos durch und freut sich über einen gemeinsamen Tag mit den Kindern? Der Mann. Wahrscheinlich war Mutti arbeiten.

Ein neues Geschlechterbild muss her

Am Ende wünsche ich mir vor allem eines: ein moderneres Gesellschaftsbild. Die alten Klischees müssen endlich aus der Werbung verschwinden. Aus der Hausfrau darf gerne auch der Hausmann werden, aus dem Autonarren die Autonärrin und aus dem erfolgreichen Geschäftsmann die ambitionierte Geschäftsfrau. Die Konzerne dürfen sich hier – meiner Meinung nach – etwas von Apple abschauen. Ohne Frage: mehr geht immer. Apple ist hier aber auf einem sehr guten Weg nach vorne.

Klar – Marketing verkürzt, Marketing arbeitet mit Stereotypen. Das wird sich bei begrenzter Zeit und erheblichen Kosten auch nicht ändern. Am Ende fordere ich aber, dass auch diese gleichberechtigt werden bzw. Stereotypen endlich wechselnde Geschlechter bekommen.

Bildquelle: (c) Clemens Fabry
Video via YouTube

Jan Gruber

Chefredakteur Magazin und Podcasts

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