Kennt ihr das Problem des ersten Eindrucks? Mit dem ersten Eindruck macht man in der Regel alles klar. Man entscheidet über Top oder Flop. Auch bei Apples erstem Spatial Computer, der Apple Vision Pro, ist das so. Und der erste Eindruck ist meiner Meinung nach gründlich in die Hose gegangen.
Apple wollte und will es vermutlich immer noch, dass das Experiment Mixed Reality ein Erfolg wird. Alleine der Aufwand, den der Konzern in seinen Stores treibt, ist ein Anzeichen dafür. Warum sie sich dann nicht mehr darum bemühen, lässt mich einigermaßen ratlos zurück. Aber der Reihe nach.
Apple kündigte auf der WWDC 2024 an, dass die Apple Vision Pro nun auch unter anderem in Deutschland erhältlich ist. Ab dem 12. Juli startet der Verkauf und zwei Wochen vorher schon die Vorbestellphase. Warum diese dieses Mal so lang ausfällt, weiß man nicht.
Dann der Start der Brille an einem Freitag. Ich hatte die große Ehre, im Apple Store Kurfürstendamm in Berlin dabei zu sein, als sich die Türen ausnahmsweise um 8 Uhr morgens öffneten. Vor dem Laden wartete eine sehr kleine Gruppe interessierter Käufer. Außerdem eine etwas größere Gruppe eines spanischen Resellers. So war dann doch einiges los.
Im Store herrschte hektische Betriebsamkeit. Schließlich sollten alle, die an diesem frühen und regnerischen Morgen in den Store gekommen waren, eine Demo bekommen. Das lief auch einigermaßen reibungslos. Die Mitarbeiter:innen ließen sich Zeit, den Kund:innen alles zu erklären. Alles gewohnt professionell.
Nach meiner Beobachtung wurden an dem Morgen vier Apple Vision Pro verkauft. Eine sollte im anderen Berliner Store abgeholt werden. Ob von der spanischen Reisegruppe jemand eine der mindestens 3.999 Euro teuren Brillen gekauft hat, konnte ich nicht erkennen.
Der Start in Deutschlands größtem Apple Store verlief also ruhig. Sehr ruhig. Kein Vergleich zu den Zeiten, als hunderte darauf warteten, eines der neuen iPhones zu kaufen. Kein Vergleich zu den Menschenmassen, die zur Eröffnung der Stores in Hannover (2014) und Köln (2017) gekommen sind. Nun gut, das waren andere Zeiten.
Warum erzähle ich das? Mit dem Start der Apple Vision Pro in Deutschland sollte man doch annehmen, dass auch der Content vorhanden ist. Also Apps, immersive Videos und 3D-Kinofilme. Und ja, es gibt diese Inhalte. Leider aber mit vielen Einschränkungen.
Apple Immersive
Ohne Zweifel sind die in 8K IMAX-Format gedrehten Episoden das absolute Highlight der Brille. Auflösung, Details und auch die Stories begeistern. Doch leider hat Apple es erstens versäumt, die Episoden ins Deutsche zu übersetzen, und zweitens ist außer einer neuen Folge seit dem US-Start im Februar nichts dazugekommen. Daran ändert auch eine Pressemitteilung von Apple nichts, dass man neue Folgen plant und eine weitere bereits veröffentlicht hat. Leider wieder nur in den USA. Im Herbst soll diese Folge dann auch bei uns erscheinen. Was mit den anderen neuen Episoden ist, wird nicht erwähnt. Wenn es mit der Geschwindigkeit weitergeht, bekommen wir die vielleicht im nächsten Jahr.
Kooperation mit Disney?
Könnt ihr euch noch an die WWDC 2023 erinnern? Als Tim Cook sein „One More Thing“, die Apple Vision Pro, das erste Mal der Öffentlichkeit gezeigt hat? Dort gab es einen großen Block, in dem es um die Zusammenarbeit mit dem Disney-Konzern ging. Was wurde da nicht alles gezeigt. Was ist davon geblieben? Ein paar virtuelle Umgebungen in der Disney+ App. Selbst Filme wie Avatar 1 und 2, die im Grunde 3D-Geschichte geschrieben haben, gibt es in Deutschland derzeit nur in 2D. Eine Anfrage von mir bei Disney brachte die lapidare Auskunft, dass man nicht sagen könne, wann diese Titel in Deutschland auf der Apple Vision Pro in 3D erscheinen. Das ist schon sehr peinlich.
Ja, es gibt 3D-Kinofilme auf der Apple Vision Pro. So ehrlich muss man auch sein. Im Dienst von Apple TV+ finden sich einige. Hier hat man auch das beste „Kino-Erlebnis“ in der Brille. Die Disney+ App mit ihren vier (vielleicht bald fünf, wer weiß) 3D-Umgebungen kann da nicht mithalten, auch wenn es hier einige Filme in 3D gibt. Da frage ich mich, was aus der groß angepriesenen Zusammenarbeit von Disney und Apple geworden ist.
Apps
Die nächsten Baustellen der Brille sind aus meiner Sicht die Apps. Klar, es gibt inzwischen einiges an guten Apps von Drittherstellern. Von Apple selbst gibt es wenig. So wenig, dass sie es nicht mal geschafft haben, nach über einem Jahr visionOS (das Betriebssystem der Brille) am Markt viele ihrer eigenen Apps für die Brille anzupassen. Dazu gehören neben der Aktien-App der Kalender, Podcasts und auch Erinnerungen. Alles produktive Apps. Die Apple-eigene Fotos-App ist zwar für die Apple Vision Pro angepasst und hat auch viele Funktionen, die Bearbeitung von Bildern – wie vom Mac, iPhone und iPad gewohnt – gehört aber nicht dazu.
Die größte verpasste Chance aus meiner Sicht stellt aber die Karten-App dar. Apple Maps bietet diverse Städte in 3D an. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese App nicht angepasst wurde. Es wäre nicht nur ein guter Showcase für die Möglichkeiten des Headsets, es hätte auch Killer-App-Potential.
Hardware
Ich will jetzt nicht auch noch das Fass Hardware aufmachen. Apple verbaut in seiner Brille, deren wichtigste Funktion die Wiedergabe von grafischen Inhalten ist, den M2. Bei seinen anderen Produkten ist der Konzern aber schon beim M4, der mit deutlich verbesserten Grafikfähigkeiten daherkommt. Warum es nicht wenigstens der M3, der ebenfalls besser für Grafik geeignet ist, in die Brille geschafft hat, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben.
Da nützt es im Übrigen auch nichts, dass Tim Cook sich werbewirksam mit zahlreichen Journalisten getroffen hat, teilweise von völlig unbekannten Medien, um die Vorzüge der Apple Vision Pro anzupreisen. Für kein anderes Produkt hat sich der Apple-Chef in letzter Zeit so sehr in die Niederungen des Journalismus begeben, wenn es nicht mindestens eine iJustine oder ein MKBHD gewesen wären.
Fehlende Inhalte, schlecht bzw. gar nicht angepasste Apps, veraltete (zumindest aber nicht mehr ganz aktuelle) Hardware, ein eher mauer Start in Deutschland und ein Preis jenseits von Gut und Böse. Das alles sind Faktoren, die nicht unbedingt für eine Erfolgsgeschichte sprechen und die aus meiner Sicht so gar nicht zum erfolgsverwöhnten Konzern passen.
Versöhnliches
Zum Schluss noch etwas Versöhnliches. Trotz all der Punkte, die ich hier aufgezählt habe, liebe ich die Apple Vision Pro. Weil sie aus meiner Sicht eben nicht ein Produkt ist, sondern, wie es ihr Name schon sagt, eine Vision. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass spätere Versionen dieser Vision durchaus eine Chance haben und bekommen sollten.
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