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Über Medien, Web 2.0 und den alltäglichen Wahnsinn

Christian Blum

Goldrenette von Blenheim
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Mein Kollege Felix Rieseberg wird mich vermutlich in der Luft zerfetzen, aber ich wage mich, einen Kommentar zu aktuellen Web 2.0-Geschehnissen zu verfassen und auf den "Veröffentlichen-Knopf" zu drücken. Es gab eine Zeit, da war die Reise in die Welt der Medien ein One-Way-Ticket. Bedeutet: Man konsumierte die Tagesschau und stellt sich anschließend nur die Frage, ob es zum Abendbrot noch einen Kaffee gibt, oder nicht. One-Way. Doch heute, also eigentlich seit ich selbst im Internet mein Dasein friste, ist alles anders. Es wird kommentiert, getwittert, vlogged, geflamed, gebasht und unfollowed. Doch dazu später mehr. Ich stelle mir die Frage, ob der Spruch "Sind wir reif für eine neue Zeitung" vielleicht doch rhetorischer Art war. Denn ich meine: Wir sind es nicht. Und wieso? Weil es schlicht nicht nötig ist.[PRBREAK][/PRBREAK]

Der Beginn einer neuen Ära...

Natürlich gab es auch vor dem Web die Partizipation des Konsumenten an den Medien. Das nannte sich damals "Leserbrief" und wird bis heute noch verfolgt. Aus meiner Erfahrung durch die Mitarbeit bei einer urdeutschen Lokalzeitung weiß ich jedoch, dass es sich dabei tatsächlich um rudimentäre Überbleibsel aus grauer Vorzeit handelt. Das äußert sich zum Beispiel in der durchaus überschaubaren Menge an Schreiberlingen, die der Redaktion auf meist noch postalischem Weg ihre Meinung unterbreiten. Es sind immer die selben Leser, immer die selben Muster und es ist immer die selbe Laier. Mengentechnisch ist der Arbeitsaufwand bei postalischen Leserbriefen aber mit fünf Briefen im Monat durchaus zu bewältigen.

Anders verhält es sich im Hier und Jetzt. Webdienste wie Twitter und auch kleinere Funktionen, wie etwa die des Kommentars, ermöglichen es uns, auch vor der Investition von 45 Cent für eine Postkarte unseren Beitrag zu leisten. Das mag praktisch sein, erschwert es jedoch auch, den Überblick zu behalten.

Witzig wird es aber dann, wenn selbst die Medien anfangen verrückt zu spielen und sich aufgrund des enormen Leistungsdrucks die Köpfe einschlagen. Früher hinter verschlossenen Türen oder gar nach dem Motto "Leben und leben lassen", heute mit Kanonen auf Spatzen. Aktuelles Beispiel: Der BILDBlog, eine bekannte Seite mit Kommentaren anerkannter Journalisten zu Werken ebenfalls anerkannter Journalisten, wurde aufgrund eines Recherchefehlers vom ursprünglichen Jäger zum Gejagten. Gleich drei Abmahnungen regnete es von Seiten der Kläger, da man den ungeliebten Kommentator ja nun ohnehin eigentlich loswerden will. Die Macht des Geldes, David gegen Goliath.

Doch an einer Stelle wo in biblischer Vorzeit eine simple Steinschleuder den Sieg bedeutete, so ist es heute Twitter. Vielleicht. Während der Blog selbst um Spenden für die eigenen Anwaltskosten bittet, ziehen sich andere Prominente des Web 2.0 ihre glänzende Rüstung an und fahren in die Schlacht. Mit Twitter. Doch das klappt irgendwie nicht. Sascha Lobo rief in den vergangenen Tagen zum "Unfollowen" der abmahnenden Zeitung auf.

Und wieder der Vergleich zur "guten alten Zeit": Früher wurden Ungereimtheiten mit dem Stein, dann mit dem Schwert, dann mit der Duellpistole entschieden. Heute wird man "unfollowed". Welch' unglaubliche Tat., so ein "Unfollow". Und es hat nicht einmal geklappt. Denn betroffene Zeitung rühmt sich nun mit über 50 neuen "Followern" und gibt sich zufrieden die Schlacht gewonnen zu haben. Mehr Geld, mehr Follower, mehr Macht(?).

Worauf ich hinaus will: Ich kann es nicht verstehen, dass erwachsene Menschen in der heutigen Zeit ihre Meinung auf derart bizarre Art und Weise äußern. Was bietet Web 2.0, oder, was ist an Web 2.0 so besonders, dass es sich für viele Leute "normal" anfühlt, sich auf beschriebene Art einer Konfrontation oder einer Konversation auszusetzen? Mal im Ernst: Es ist doch eigenartig, dass es keinen Menschen interessieren würde, wenn ich mich auf die Kö (Einkaufsstraße im Herzen der schönen Stadt Düsseldorf) stelle und laut verkünden würde, dass ich mir grade ein Eis gekauft habe. Wenn ich das per Twitter tue, dann bekomme ich direkt 27 Kommentare wie geil das denn jetzt wieder ist. (Angenommen ich hätte einen Twitter Account)

Und die Bauern suchen nach wie vor verzweifelt nach einheimischen Spargelstechern. Aber die sind meist mit ihren Feldern bei Farmville zugange. Strange.

Anhang anzeigen 61631
Bild: eMedia, Nr. 26
 
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Warp-x

Prinzenapfel
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Getreu dem Gedanken des Mittmach-Webs: Ich will auch kommentieren.

Ich denke, wir sind in einer Art Uebergangsphase und deswegen ist immer noch soviel 'noise' in den Netzwerken zu finden. Dazu kommt sicherlich auch noch eine Portion Spam, aber in digitalen Medien sind die Kosten der Teilnahme eben so gering, dass viele sich gerne einmal im so genannten Web20 oder Mittmach-Web ausprobieren wollen. Ich halte es fuer ein kleines Problem das analog zu neuem Spielzeug und Kindern (Affen) sich selbst loesen wird.

Das momentane Chaos an Kanaelen und 'me too' Angeboten laesst sich mit dem richtigen Werkzeug (Planen, Testen, Implementieren) einfach sortieren. Es gibt eine große Anzahl von Agenturen, die mittlerweile ausschließlich damit ihr Brot verdienen und zum Teil mit sehr erfolgreiche Konzepten anderen helfen, die Migration gut zu ueberstehen.

'Soziale Spiele' und 'augmented reality applications' sind meiner Meinung ebenso ein Zeichen dafuer, dass wir uns wieder einem Paradigmenwechsel naehern - alles wird verbunden sein und die so genannten 'gate keeper' werden Geld verdienen. Ich bin mir bewusst, dass dies nicht immer gut ausgehen kann (muss), aber was z.B. die Bildzeitung dort betreibt ist meiner Meinung nach 'so 20tes Jahrhundert' und sollte direkt verboten werden.

Und zum Schluss: Das Abmahnwesen braucht eine dringende Reparatur bzw. eine Transformation die mit den neuen Anforderungen kompatibel ist. (Soweit ich weiß, zensiert Apfeltalk immer noch 'gefaehrliche Themen'...)
 

.holger

Borowitzky
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Natürlich interessiert es keinen, wenn man sich ein Eis kauft, wenn man aber twittert, dass man mit nem Eis an der Schlachte (Kneipenmeile an der Weser in Bremen) sitzt und dann auf einmal 2-3 Follower von einem da auftauchen, die man sonst nie kennengelernt hätte, dann interssiert das jedoch schon - jedenfalls die 3-4 Leute, die sich ohne Twitter nie kennen gelernt hätten.
 
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Paul_

Niederhelfenschwiler Beeriapfel
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Allerdings ist ja gerade das mitmachen "Web 2.0" und deshalb auch nicht mehr wegzudenken. Durch den Mangel an Kontrolle bleibt natürlich sehr viel Unnötiges liegen und stört, doch Anspruchsvolle und wichtige Artikel werden sich auch in zehn Jahren noch von Amateurtextern unterscheiden und währen auf Twitter oft schon die Nachricht ohne Sinn ist, weshalb man auch von den Kommentaren nicht viel erwarten kann, so findet man auf gehobenen Nachrichtenebenen, wie zum Beispiel Zeit online, faz oder Süddeutsche, auch im Netz noch anspruchsvolle Kommentare.
Diese Kommentare werden schon mit dem Begriff Kommentar unter Wert gehandelt, denn sie sind eine eigene Meinung und verdienen die Bezeichnung Leserbrief.
Und diese profitieren wirklich vom Web 2.0, denn hier wird aktiv diskutiert und Meinungen ausgetauscht, was einem als Konsument oft Dinge näher bringt.
Zu Pseudonachrichten wie Informationen über neue Telekom-Tarife oder dass jemand ein anderes OS auf ein Apple-Handy installiert hat, was keinen wirklich wichtigen Einfluss ausübt wird natürlich auch nur mit Kommentaren zu Telekom-Tarifen beantwortet. Und durch ein geringeres Niveau, also geringere Ansprüche an den Kommentarautor, schreiben auch Menschen Antworten, die ihre Meinung nie für so wichtig halten würden, dass es einen Leserbrief wert wäre.

Und zum Schluss, wunderbarer Beitrag auf Zeitungsniveau, mit echten Leserbriefen als Reaktion und ganz ohne lol, geil cool und fünf Ausrufezeichen.
Großen Lob und herzlichen Dank.
 

Skyee

Damasonrenette
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Ich find gut was du geschrieben hast. Besonders gut hat mir die Stelle mit dem "unfollowed" gefallen und das halt vieles unsinnig ist.
 

Knochenfuarz

Reinette de Champagne
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418
Gleich mal schön an BildBlog gespendet.
Guter Kommentar. Und das ich das schreibe ist quasi schon wieder die Bestätigung der These des Textes :-D.
 

jomi

Kleiner Weinapfel
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1.138
Ich bin ja ein Anhänger der Theorie, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen tendenziell einen mittelmäßigen bis niedrigen Anspruch hat. Das spiegelt sich perfekt im sogenannten “Signal-to-Noise-Ratio” (SNR) wieder, dem Verhältnis von Signal (Inhalt) und Rauschen. (Der Begriff stammt aus dem Ingenieurswesen.)

Im 18. und 19. Jhd. bestand die Medienlandschaft im Prinzip aus wenigen Zeitungen (und Marktschreiern und all sowas, aber wir wollen uns hier einmal auf überregionale Massenmedien beschränken). Im 20. Jhd. wurde die Produktion von Druckerzeugnissen immer billiger, die Einstiegsbarrieren senkten sich etwas und es entstanden Zeitungen und Zeitschriften wie “BILD” oder “Brigitte” (oder dem wöchentlichen). Es entsteht mehr Rauschen, der SNR sinkt.
Wenig später finden Radio und später Fernsehen weite Verbreitung. Durch Sendungen wie “Bauer sucht Frau”, “DSDS”, “Germanys next Topmodel” usw. usf. steigt das Rauschen immer stärker an, der SNR sinkt.
Ende des 20. Jhd. findet das Internet zu steigender Beliebtheit. Jeder kann hier eine eigene Webseite erstellen und viel zu viele nutzen das auch. Der SNR sinkt.

Aber (zum Glück) können oder wollen die meisten Menschen sich nicht mit HTML, JavaScript und ähnlichen obskuren Webstandards beschäftigen. Leider entwickeln sich fertige Systeme und kostenlose Blogs (z.B. wordpress.com), sodass auch die Menschen, die keine Lust auf HTML hatten, ihre Meinung der ganzen Welt kundtun können. Der SNR sinkt rasend.
2008-2009: Der Twitter-Trend ergreift die USA und breitet sich auf den Rest der Welt aus. Die einst so angenehm hohe Barriere zur weltweiten Erreichbarkeit ist drastisch gesunken und praktisch jeder “Bauer Horst” hat jetzt die Möglichkeit, der ganzen Welt seine Ansichten zu vollkommen irrelevanten Dingen mitzuteilen. Und da Zurückhaltung ja bekanntlich noch nie zu den Stärken der Menschheit zählte… sinkt der SNR noch tiefer.

Ich habe inzwischen einige Dutzend Blogs gefunden, die ich mehr oder weniger regelmäßig verfolge. Bei Twitter hingegen bin ich skeptisch, ob in den 140 Zeichen überhaupt so viele Informationen untergebracht werden können, dass für mich interessante Inhalte herauskommen.
Und ich bin nicht alleine. Auch Frank Patalong auf Spiegel Online kann sich für Twitter nicht so richtig begeistern und schreibt im Artikel “Grundrecht auf Schmach“:

Alles wird zur “Meldung”, und weil der Dienst es gestalterisch nicht hergibt, erscheint das “Hab gerade einen Toten bei Verkehrsunfall gesehen” völlig gleichgewichtig neben “Seit dem Rosenkohl blubbert mein Magen”. Kaum jemanden fällt noch auf, dass das Getwitter nicht nur profan und merkwürdig ist, sondern oft regelrecht anmaßend: Man macht sich selbst zum Weltmittelpunkt, über den man ständig berichtet. Würde man den getwitterten Äußerungsstrom laut von sich geben, kassierte man wohl schnell und zu recht ein “Kannst du nicht mal den Mund halten?”.
Anmerkung: Ja, dieser Text ist etwas überspitzt formuliert. Nein, ich will niemanden persönlich angreifen. Nein, ihr braucht nicht in den Antwortkommentaren, dass Twitter eigentlich ganz toll sei. Ja, ich glaub euch, dass ihr das denkt. Nein, ich will es nicht hören. Danke.
 
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Paul_

Niederhelfenschwiler Beeriapfel
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(Im Bezug auf Jomi)

Ich bin auch der Meinung, das Twitter keinen Inhalt liefern kann und, seit mir der Begriff des SNR nahe gebracht wurde, der Meinung das dieser schon allein deshalb so gering ist, da das Signal, der Inhalt, so erschreckend gering ist, wie auch anders bei 140 Zeichen? Und selbst auf Apfeltalk, die sich ja um einen guten Schreibstil, Zuverlässigkeit und viel größere Recherchen als die meisten anderen bemühen, ist der Inhalt der News, was man nicht mit Nachrichten übersetzen kann, Neuigkeit trifft es schon eher, doch sehr gering wenn man es nun mit einem kleinen Randartikel in einer Zeitung vergleicht.
Damit will ich Apfeltalk nicht kritisieren, da sie einen der höchsten Ansprüche als Internetredaktion haben, der Vergleich bezieht sich jetzt auch auf hochwertige Zeitungen wie Faz, Zeit, Süddeutsche oder der oben genannte Spiegel und keinesfalls auf Zeitschriften oder Boulevardpresse.

Ich denke, dass der SNR größtenteils vom Inhalt und der Masse an Konsumenten abhängt. da nur eine kleine Menschengruppe für Qualität zugänglich ist wird natürlich auch mit steigenden Zahlen an Konsumenten der Inhalt geringfügiger.

Und den Angriff gegen Wordpress halte ich nur Teilweise für gerechtfertigt, einerseits weil man mit einem Wordpress-Blog sehr individuell arbeiten kann, er dementsprechend auch aufwändig ist und die meisten "professionellen" Blogs Wordpress nutzen.
Wenn man ihn nun mit dem Googleprodukt Blogger vergleicht, welchen die meisten Nutzer einfach nutzen wie Google einmal einen Button "Jetzt registrieren" angezeigt hat, ohne zu wissen wofür sie ihn brauchen.
 

Paul_

Niederhelfenschwiler Beeriapfel
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Wie vermutet ist, je höher das Niveau die Anzahl an Konsumenten geringer, sei es nun, weil sie es nicht verstehen (wollen) oder einfach keine Zeit haben es zu lesen, womit man auch den Erfolg der Bild-Zeitung erklären kann, denn wenig Inhalt in wenigen Sätzen kann man schnell auffassen und leicht verstehen.
Ebenso die Antworten auf andere News hier, auch wenn diese noch um Lichtjahre über der genannten Boulevardzeitung stehen.
 

nev03

Freiherr von Berlepsch
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Irgendwo hab ich mal gelesen das, dass Internet zur Zeit in der Pubertät ist - alles wird mal ausprobiert und teils schnell wieder fallengelassen. :-D